Osama Elmasri Njeem wird vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag dringend gesucht. Die Vorwürfe zulasten des libyschen Generals sind happig: Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Konkret: Mord, Folter, Vergewaltigung und sexuelle Gewalt, unter anderem in einem von Elmasri kontrollierten Gefängnis in Libyen.
Italien will Libyen nicht brüskieren
Noch ist das nicht bewiesen. Doch es gibt viel belastendes Material und eben: den Haftbefehl des internationalen Strafgerichtshofs. Darum war Elmasri am letzten Sonntag in Turin, wo er sich ein Fussballspiel angeschaut hatte, verhaftet worden. Kurze Zeit später aber war er wieder auf freiem Fuss, Italiens Luftwaffe flog ihn sogar zurück in seine Heimat, wo man ihn wie einen Helden empfing.
Die Gründe, die Rom dafür nennt, sind bürokratisch, formaljuristisch und überzeugen nicht. Für die Opposition und viele Beobachter ist klar, dass sich Italien Elmasris entledigt, weil dessen Verhaftung und Auslieferung nach Den Haag die Beziehungen zwischen Italien und Libyen ernsthaft gefährdet hätte.
Eigeninteressen gehen vor
Italien hat in Libyen zwei Interessen: Energie und Migration. Rom will Gas und Öl importieren, um jene Energie, die Russland nun nicht mehr liefert, zu ersetzen. Und Rom will dringend, dass Libyen möglichst viele Flüchtlinge zurückhält.
Dass die Regierung Meloni Eigeninteressen so unverhohlen vor die Strafverfolgung stellt, ist kein Einzelfall. Vor wenigen Tagen geschah etwas Vergleichbares. Italien flog einen iranischen Ingenieur nach Hause, dem die USA vorwerfen, Kampfdrohnen für Terror-Zwecke zu entwickeln. Washington forderte darum dessen Auslieferung, doch Italien weigerte sich. Denn Iran hatte eine italienische Journalistin verhaftet und setzte Italien ganz gehörig unter Druck.
Rom gab nach und tauschte den vermeintlichen Terroristen gegen eine Journalistin. So auf jeden Fall die Lesart der meisten Beobachter – auch wenn Italien wenig glaubhaft behauptete, die Freilassung der Journalistin sei unabhängig davon erfolgt.
Eindruck, erpressbar zu sein
Man kann der Regierung Meloni zugutehalten, dass sie Probleme mit Libyen und Iran schnell und unzimperlich aus der Welt geschafft hat. Doch Rom gab auch dem Druck nach, den beide Länder aufgebaut hatten. Das erweckt den Eindruck, erpressbar zu sein.
Zudem muss sich Italien den Vorwurf gefallen lassen, ganz offensichtliche Eigeninteressen wichtiger zu finden als die Strafverfolgung und die internationale Rechtshilfe. Damit dürfte sich Rom langfristig eine Hypothek aufgeladen haben.