Als die EU erste Sanktionen gegen Russland einleitete, revanchierte sich der Kreml an Europas Achillesferse: bei den Gaslieferungen. Russland drosselte diese unter Angabe technischer Gründe immer wieder. Der Preis stieg dadurch stark in die Höhe, sodass europaweit Haushalte entlastet und Firmen gestützt werden mussten.
Schnell war klar: Europa muss von der vermeintlich billigen russischen Energie wegkommen. Aufgrund der Abhängigkeit ein schwieriges Unterfangen – in Deutschland wird beispielsweise noch immer jede zweite Wohnung mit Gas beheizt.
Europa hat davon profitieren können, dass China weniger Gas brauchte.
Doch wenige Monate später scheint Europa auf dem besten Weg zur angepeilten Unabhängigkeit. Vor allem bei den Flüssiggas-Importen hat die EU buchstäblich aufs Gaspedal gedrückt. Selbst Fachleute wie die Ökonomin und Energieexpertin Cornelia Meyer zeigen sich beeindruckt von diesem Wandel: «Es ging viel schneller als ich gedacht habe.»
Gleichzeitig warnt Meyer, dass man die Flüssiggas-Einfuhren nur deshalb so schnell habe hochfahren können, weil Chinas Wirtschaftsmotor wegen der Null-Covid-Politik gestockt habe: «Europa hat davon profitieren können, dass China weniger Gas brauchte.» Doch diese Nachfrage werde zurückkommen. Entsprechend müsse man mittelfristig darauf hoffen, dass die USA mehr Gas fördern, um Europas Bedarf zu decken.
Neue Terminals für Flüssiggas
Damit überhaupt mehr Flüssiggas-Schiffe anlegen können, baut Europa derzeit im Rekordtempo neue Infrastruktur. So hat beispielsweise Deutschland innert Kürze drei Flüssiggas-Terminals gebaut, die 2023 in Betrieb gehen. Andere Länder wie Spanien mit sechs, Frankreich mit vier und Italien mit drei bestehenden Terminals sind schon deutlich weiter. Trotzdem werden auch in diesen Ländern fleissig weitere Anlegestationen für die LNG-Tankschiffe gebaut.
Doch Flüssiggas ist teurer als konventionelles Erdgas. Es muss auf minus 160 Grad heruntergekühlt, über den Seeweg transportiert und bei den LNG-Terminals wieder zurück in Gasform erwärmt werden. Anschliessend wird das Gas für den Weitertransport in Pipelines geleitet. Eines der Probleme dabei: Ausgerechnet zwischen Mitteleuropa und Spanien, wo am meisten Flüssiggastanker anlegen können, gibt es noch keine funktionierende Pipeline-Infrastruktur. Deshalb sollen auch hierfür in den kommenden Jahren Milliardeninvestitionen erfolgen.
Neue Gasfelder erschliessen
Beispielsweise planen Spanien und Portugal mit Frankreich eine Pipeline zwischen Barcelona und Marseille. Mit der sogenannten BarMar-Pipeline könnte Gas aus Algerien über die iberische Halbinsel nach Mitteleuropa gebracht werden. Algerien ist bereits heute einer der wichtigsten Lieferanten und hat die Exporte über die bestehende Pipeline nach Italien jüngst deutlich erhöht.
Die EU nimmt auch bisher unerschlossene Gasfelder ins Visier. So kommt in Griechenland das bereits totgesagte Eastmed-Projekt wieder auf den Tisch: Mit dieser Pipeline könnten Länder wie Zypern, Libanon oder Israel Gas direkt ins europäische Netz einspeisen.
Der Preis für die dauerhafte Unabhängigkeit von Russland wird Europa in den nächsten Jahren folglich Milliarden kosten. Bezahlen werden das letztlich die Industrie und die Haushalte.