Die Gasspeicher in Deutschland sind aktuell zu über 80 Prozent gefüllt, in Frankreich gar zu über 90 Prozent. Beide Länder wollen ihre Gasspeicher bis im Winter ganz füllen und sind damit ihren Zeitplänen weit voraus.
Für die Schweiz, die ihr Gas hauptsächlich aus diesen Staaten bezieht, seien das gute Nachrichten, sagt Thomas Hegglin, Mediensprecher des Verbandes der Schweizerischen Gasindustrie: «Man kann nicht von einer Entspannung sprechen. Aber es sind positive Signale.»
Auch die Schweiz hat ihre Ziele für den Winter bereits erreicht: Ein Teil des benötigten Gases lagert in umliegenden Nachbarländern physisch in Speichern. Zudem hat sich die Schweiz vertraglich weitere Gasmengen gesichert – und zwar zusätzlich zum üblichen Gasverbrauch im Winter.
Aktuell scheint sich die Situation bei der Gasversorgung etwas zu entspannen – zumindest Stand heute. Gleichzeitig zeigt sich, dass Europa seine Abhängigkeit von Russland stark reduziert hat. Der Anteil von russischem Gas ist von über 30 Prozent auf inzwischen 10 Prozent gesunken.
Innerhalb weniger Monate hat Europa seinen Gasbezug umgestellt, so Thomas Hegglin: «Auf der einen Seite sieht man natürlich, dass LNG, Flüssig-Erdgas eine ganz neue Bedeutung erhalten hat. Es wird in allen Regionen der Welt importiert.»
Zum anderen gelangt auch mehr Gas aus Nordeuropa und Algerien nach Europa. Zudem wird weniger Gas verbraucht; um Gas zu sparen, aber schlicht auch wegen der hohen Preise, wie Gerhard Mangott zu bedenken gibt. Er ist Professor an der Universität Innsbruck und spezialisiert auf Energiefragen und Russland.
«Wir zahlen einen hohen Preis für Gas, aber aus anderen Quellen. Etwa amerikanisches Flüssiggas, das nach Europa kommt, ist sehr teuer. Wir zahlen den Preis auch damit, dass in der Wirtschaftsproduktion in der Gesamtschöpfung der wirtschaftlichen Leistung in Europa ein Einbruch zu verzeichnen ist», erklärt Mangott.
Allerdings geht Europas Umstellung auch an Russland nicht spurlos vorbei. Gemäss norwegischen Energiespezialisten fackelt Russland aktuell ungewöhnlich viel Gas ab. Mutmasslich Gas, das sie nicht nach Europa exportieren können.
Für Gerhard Mangott eine plausible Erklärung: «Das hängt damit zusammen, dass die Produktion von Gazpromfeldern nicht mehr in vollem Umfang auf Exportmärkten abgesetzt werden kann. Um die Gasfeldförderung insgesamt nicht zu beschädigen, wird überflüssiges Gas verbrannt.»
Damit gehen Russland jeden Tag wichtige Einnahmen verloren. Kommt hinzu, dass die ökologischen Folgen des Abfackelns gravierend sind.
Klumpenrisiko Europa
Die aktuelle Situation zeigt auch, dass Europa für Russland ein Klumpenrisiko ist. Europa war bis vor wenigen Wochen mit Abstand der wichtigste Exportmarkt für russisches Gas. Jetzt, wo sich Europa aus der Abhängigkeit löst, hat Russland ein Problem: «Wenn das wegfällt, fällt natürlich ein gehöriges Volumen an Einnahmen weg. Man ist bereit, das politisch zu akzeptieren. Man kann es teilweise auch auffangen aus den hohen Einnahmen aus dem Ölexport.»
Dennoch: Das Problem bleibt. Denn Russland kann sein Gas nicht einfach nach Asien exportieren. Dafür fehlen beispielsweise leistungsfähige Pipelines. Für Europa mag der Entzug vom billigen Gas aus Russland momentan schmerzhaft sein. Für Russland hingegen versiegt eine eminent wichtige Einnahmequelle für lange Zeit.