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Angespannte Situation bei Energieversorgung in Europa
Aus Rendez-vous vom 20.06.2022. Bild: Keystone
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Russisches Gas in Europa «Ganz Europa ist inmitten einer Energiekrise»

In den letzten Tagen ist deutlich weniger Gas von Russland nach Europa geflossen. Als Grund gibt der russische Staatskonzern Gazprom an, sogenannte Verdichterturbinen seien in Revision. Der Verdacht liegt aber nahe, dass es sich um eine russische Vergeltungsmassnahme handelt – wegen der Sanktionen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg. Viele Länder fürchten um die Versorgungssicherheit. Deutschland und Österreich wollen wieder vermehrt auf Kohlekraft setzen. Energieexpertin Claudia Kemfert ordnet ein.

Claudia Kemfert

Claudia Kemfert

Energieexpertin

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Kemfert ist Leiterin der Energieabteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, einem der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland.

SRF News: Der deutsche Bundeswirtschaftsminister Habeck spricht von einer angespannten, ernsten Lage. Wie dramatisch ist die Situation aus Ihrer Sicht?

Claudia Kemfert: Man muss es deutlich sagen: Wir sind inmitten einer Energiekrise, ganz Europa. Wir sind noch immer sehr abhängig vom russischen Gas. In den letzten Wochen konnten sich die Länder vorbereiten, um aus anderen Ländern Gas zu beziehen. Die Speicher sind zur Hälfte gefüllt. Aber jetzt geht es darum, dass man die Speicher für den Winter mehr füllen muss und mehr tun muss, um Energie einzusparen. Deswegen ist die Situation tatsächlich sehr ernst.

Offenbar ist eine Turbine der Pipeline Nord Stream 1 in Revision. Ist das als Grund für die Gasdrosselung nach Europa plausibel oder ist es eher ein politisches Pressing aus Russland?

Es ist wohl letzteres. Wie das auch Herr Wirtschaftsminister Habeck schon gesagt hat. Wenn es eine Verdichterstation wäre, die fehlen würde, könnte man über andere Pipeline-Stränge gehen. Oder Russland könnte andere Pipeline-Routen wählen. Und das passiert eben auch nicht. Die Lieferungen wurden auch aus den anderen Routen nach Süddeutschland gedrosselt. Insofern kann man nur sagen, es handelt sich hier um politische Gründe.

Sie haben es angesprochen, die Länder in Europa wollen eigentlich ihre Gasspeicher für den Herbst und den Winter füllen. Was heisst das jetzt für den Winter, wenn das Gas fehlt?

Wichtig ist in der Tat, dass die Speicher ordentlich gefüllt werden. Es gibt noch Gas und Flüssiggas aus anderen Ländern. Das muss man nutzen, um die Speicher ausreichend zu füllen. Wenn dies nicht gelingt, muss man möglichst wenig Gas im Sommer verbrauchen. Das bedeutet weniger Gaskraft-Wärme-Kopplung im Einsatz und Gas sparen, wo es nur geht. Gerade in der Industrie. Sonst kann es im Winter eng werden mit der Versorgungssicherheit.

Man muss Gas sparen, wo es nur geht. Gerade in der Industrie. Sonst kann es im Winter eng werden mit der Versorgungssicherheit.
Autor:

Der Grüne Robert Habeck will die Kohlekraft wieder hoch- statt runterfahren. Das widerspricht dem geplanten Kohleausstieg. Bleibt ihm nichts anderes übrig, als die Klimaüberlegungen hintanzustellen? Oder sehen Sie andere Möglichkeiten?

Nein, es gibt erstens andere Möglichkeiten. Zum anderen können die Klimaziele und der Kohleausstieg eingehalten werden. Jetzt geht es darum, ob man in diesem oder nächsten Winter existierende Kohlekraftwerke etwas mehr auslastet oder sie aus der Reserve holt. Das heisst nicht, dass der Kohleausstieg nach hinten geschoben werden muss. Es geht hier vor allem um sogenannte Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen: Da wo jetzt Gas zum Einsatz kommt, muss man vorübergehend wieder stärker Kohle nutzen.

Jetzt geht es darum, ob man in diesem oder nächsten Winter existierende Kohlekraftwerke etwas mehr auslastet oder sie aus der Reserve holt.
Autor:

Da fehlt mir in der Tat, dass man noch mehr auf Einsparpotenziale setzt und auch die Option erneuerbare Energien im Rahmen eines Notfallprogramms ausbaut. Es heisst ja nicht nur Gas oder Kohle, sondern auch Gas oder Erneuerbare. Und letzteres kommt leider nicht vor.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

Beschleunigt die Krise die Energiewende?

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Die Krise bedeutet nicht, dass die Energiewende mittel- und längerfristig in Gefahr ist. Im Gegenteil. «Sie kann und sollte die Energiewende beschleunigen», sagt Kemfert. «Wir müssen endlich von den fossilen Energien wegkommen. Sie sind enorme Preistreiber. Sie schaffen nicht die benötigte Versorgungssicherheit.»

Als einzige Alternativen sieht die Energieexpertin konsequentes Energiesparen und den schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien. Es dürfe keine Abkehr vom Klimaschutz, sondern eine Hinwendung geben. «Selbst wenn man es nicht Klimaschutz nennt: Es muss sein, dass wir Versorgungssicherheit im Land gewährleisten. Und das geht nur mit Energiesparen und erneuerbaren Energien.»

Rendez-vous, 20.06.2022, 12:30 Uhr ; 

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