Umstrittenes «Agenten-Gesetz»: Georgiens zunehmend autoritäre Regierung sorgt mit einem geplanten Gesetz für Massenproteste auf der Strasse. Das sogenannte «Agenten-Gesetz» sieht vor, dass sich Organisationen, die mehr als zwanzig Prozent ihrer Finanzmittel aus dem Ausland erhalten, als «Vertreter einer fremden Macht» registrieren lassen müssen. Das Parlament hat sich in den bisherigen zwei Lesungen für das Gesetz ausgesprochen. Die dritte und entscheidende Lesung steht nächsten Freitag an. Gegen das Gesetz demonstrieren seit Wochen jeden Tag Zehntausende in Tiflis.
Gewalt und Einschüchterung: In den letzten 24 Stunden wurden mehrere prominente Regierungskritiker vor ihren Hauseingängen von unbekannten Männern tätlich angegriffen, teilweise sogar spitalreif geprügelt. Viele andere haben anonyme Anrufe mit Drohungen erhalten; auf den Fassaden der Stadt sind Plakate erschienen, auf denen regierungskritische Figuren und Mitarbeitende von NGOs als «Volksverräter» angeprangert werden und auf denen teilweise ihre privaten Adressen stehen. «Es scheint eine koordinierte Einschüchterungskampagne zu sein, die wohl direkt von der Regierung ausgeht oder zumindest mit ihrer passiven Unterstützung geschieht», berichtet SRF-Korrespondent Calum MacKenzie aus Tiflis.
Kampf gegen «fremde Mächte»: Die Regierung versucht schon zum zweiten Mal, dieses Gesetz einzuführen. Letztes Jahr ist sie dabei nach grossen Protesten zurückgekrebst. Die Regierung behauptet, es gehe lediglich darum, Transparenz bei den Geldflüssen von NGOs zu schaffen. Laut Kritikerinnen und Kritikern dient das Gesetz jedoch dazu, missliebige Organisationen und Medien zu delegitimieren, ihre Arbeit zu erschweren und Vorwände zu finden, sie zu schliessen. Die jüngste Rhetorik der Regierung lasse wenig Zweifel an dieser Interpretation zu, schätzt MacKenzie: «Sie bezeichnet die Opposition und die NGOs als Tiere, die für fremde Mächte im Westen arbeiteten, die Georgien angeblich in einen Krieg ziehen und im Land ein blutiges Regime errichten wollten.»
Lippenbekenntnisse über EU-Beitritt: Die Regierung betont, dass sie Georgien in die EU führen will. Tatsächlich sabotiere sie aber genau das seit Jahren, so der Korrespondent: «Sie setzt auch unlautere Mittel ein, um an der Macht zu bleiben, Justiz und Medien etwa werden von der Regierung unterwandert.» Diese würde sich lediglich zur Annäherung an die EU bekennen, weil dieser Weg in der Bevölkerung so beliebt sei. Das habe lange auch weitgehend funktioniert, schätzt MacKenzie: «Aber mit ihrer verschärften Rhetorik ist die Regierung von diesem Zickzackkurs abgekehrt. Sie hat gewissermassen ihre wahre Natur offenbart und viele Menschen gegen sich mobilisiert.»
Druck auf die Regierung steigt: In der kommenden Woche könnten die Massenproteste noch weiter anwachsen. Auch, weil viele Menschen in Georgien stolz auf ihre Demokratie seien, schliesst MacKenzie: «Sie sehen, was eine Abkehr von Europa bedeuten würde: nämlich, dass Georgien in die Arme von Russland getrieben werden könnte.» Dagegen sei auch die Wählerschaft der Regierung. So erklärte der georgische Botschafter in Frankreich am Donnerstag seinen Rücktritt, auch beliebte Fussballer kritisieren das Gesetz. Durch die gewaltsamen Übergriffe auf Oppositionelle und Regierungskritiker droht die Lage nun vollends zu eskalieren.