Alarm bei der Feuerwehr in Ashkelon: Ein paar Männer packen hastig ihre Ausrüstung, zu der auch kugelsichere Westen und Helme gehören. «Diese Ausrüstung ist für eine Feuerwehr wohl einmalig», sagt der Mediensprecher der Feuerwehr, Tal Robert Goldstein.
Ashkelon ist nur 13 Kilometer vom Gazastreifen entfernt. Und wenn die militante Hamas von dort Raketen nach Israel schiesse, sei ein Feuerwehreinsatz wie Arbeiten an einer Kriegsfront, sagt der 36-Jährige, der in Ashkelon geboren wurde.
«Die Raketen aus Gaza entfachen unter anderem Buschbrände in den dünn besiedelten Gegenden ausserhalb der Stadt. Dort fängt das Raketenabwehrsystem Iron Dome keine Raketen ab.»
Goldstein beschreibt, was das für die Feuerwehrmänner in Ashkelon heisst. «Mit den Händen über unseren Köpfen müssen wir uns hinlegen, dann wieder aufstehen, Brand bekämpfen, beim nächsten Alarm wieder hinlegen...»
«Letztes Jahr lösten alleine Raketen und andere Angriffe aus Gaza 245 Brände aus», sagt Tal Goldstein: die meisten während des Krieges im Mai. Diesmal ist es kein Raketenalarm, sondern Nachbarn machen sich Sorgen um jemanden, der seine Wohnungstüre tagelang nicht aufgemacht hat.
Neben der normalen Alltagshektik sind die Angriffe aus Gaza für die Feuerwehrleute eine massive Zusatzbelastung – auch psychisch. Zwar sind sie modern ausgerüstet und haben mehrere Luftschutzkeller. Aber ein Raketenalarm löst immer Sorgen um die Familie aus.
«Meine Frau muss ich mit unseren zwei Kindern alleine zuhause lassen», sagt der Feuerwehrmann. «Wir müssen uns wohl einfach damit abfinden, dass wir ein bis zweimal im Jahr mit Raketen beschossen werden», so Goldstein.
Kinder bezahlen den Preis für die Gewalt
An die Raketen aus Gaza könne und wolle sie sich nicht gewöhnen, sagt Yaffa, die unweit des Feuerwehrlokals an einer Bushaltestelle wartet.
«Die Kinder zahlen den Preis für diese Gewalt: Mein Enkel ist mit 12 noch Bettnässer – wegen der Raketen aus Gaza braucht er psychologische Betreuung», sagt Yaffa. Ein verbreitetes Problem in Ashkelon. Sie erzählt auch von den schreienden Frauen und Kindern im Luftschutzkeller: Nicht zum Aushalten sei die Panik bei Angriffen. Da helfe nur Beten.
Während des Krieges im vergangenen Mai feuerte die Hamas in Gaza 950 Raketen auf Ashkelon: Davon wurden 75 nicht abgefangen. Zwei Menschen kamen damals ums Leben – auch weil in ärmeren Quartieren Ashkelons Zehntausende keine Luftschutzkeller haben. Und eine Frau sei erst kürzlich ihren Verletzungen von damals erlegen, erzählt Richard, der aus den USA nach Ashkelon gezogen ist.
Er glaubt nicht daran, dass die Gewalt hier je ein Ende haben wird. «Es gibt weder eine politische noch eine militärische Lösung: seit Jahrzehnten derselbe Konflikt – nur die Namen ändern sich.»
Von Ashkelon zum Eretz-Grenzübergang nach Gaza sind es 13 Kilometer. Drei Checkpoints muss man dort passieren: zuerst den israelischen, in der Mitte den der Palästinensischen Autonomiebehörde, zuletzt den Checkpoint der militanten Hamas, die im Gazastreifen seit 2007 herrscht. Dann kommt man in die Stadt Beit Hanun. Es ist wie ein Schritt in eine andere Zeit.
Bombenkrater in den Strassen
Esel und Pferde ziehen Holzwagen mit Bauschutt oder Gemüse, die Strassen sehen teilweise aus wie ungeteerte Feldwege – auf diesen tummeln sich scharenweise Kinder und Jugendliche vor schwer beschädigten Gebäuden.
«Eines Nachts plötzlich gab es eine grosse Explosion in unserem Quartier hier – und dann ganz viele Bomben», erinnert sich der 23-jährige Karam. Die Bomben rissen Krater auf in den Strassen. In diese seien die Menschen im Dunkeln hineingefallen, als sie flüchten wollten, erzählt er.
«Auch meine Brüder, Schwestern und Nachbarn verletzten sich, als sie in diese Krater fielen», sagt Karam – der alle vier Kriege seit 2008 erlebt hat. Nun hätten sie wieder kein Haus mehr – und Mietwohnungen gebe es kaum. «Unsere Träume wurden zerstört – in Gaza gibt es keine Hoffnung mehr», sagt der junge Mann.
Die Terrororganisation Hamas habe unter Wohnquartieren ein Tunnelsystem gebaut, wo sie Kämpfer und Waffen verstecken: So begründete Israel die Bombardierung von Wohnquartieren in Beit Hanun und Gaza-Stadt im letzten Mai. Dabei kamen rund 250 Menschen um, ein Drittel davon Kinder.
In einem Haus am Rand von Beit Hanun wohnt Attalah El Masri. Zwei seiner Söhne wurden von einer israelischen Rakete getötet, als sie vor seinem Haus auf der Strasse spielten. Er macht das Tor zu seinem Haus auf und zeigt auf die Stelle.
In seinem Wohnzimmer hängen die Bilder seiner beiden Sohne: fünf und neun Jahre alt. «Was habe ich getan? Bin ich schuldig, weil ich ein Palästinenser aus Gaza bin?»
Und die Welt schaut zu
Im Krieg 2014 habe er sein Haus verloren, letztes Jahr nun zwei seiner Kinder. Und die ganze Welt schaue zu, als ob es sich um eine Fussballweltmeisterschaft handle. Alle vier Jahre dasselbe Spektakel: Man schaue gespannt, wer die nächste Runde überlebe, sagt Attalah El Masri bitter. Nur dass es sich hier nicht um Fussball handle, sondern um Kriege.
Weder in Beit Hanun im Gazastreifen noch in Ashkelon in Israel haben die Menschen Hoffnung, dass die Gewalt aufhört. Sie wissen, der nächste Krieg ist nur eine Frage der Zeit: Das zeigt die Eskalation der vergangenen Tage.