Ramiro Ávila Santamaría spricht Klartext: Ecuadors Präsident Daniel Noboa foutiere sich um das Rechtssystem, sagt der 57-Jährige Jurist. Und nennt gleich ein Beispiel: «Unser Präsident hat letztes Jahr internationales Recht gebrochen, als er das Militär die mexikanische Botschaft stürmen liess, um den ehemaligen Vize-Präsidenten Jorge Glas zu verhaften. Er wurde wegen Korruption gesucht. Noboa verletzte dadurch die Souveränität der mexikanischen Botschaft.» Das zeige, dass Noboa nicht davor zurückschrecke, sich im Namen des Kampfes gegen die Drogenbanden und die Korruption über geltendes Recht hinwegzusetzen.
Was Ramiro Ávila Santamaría sagt, hat Gewicht. Der Mann ist nicht irgendwer: Er war selber Richter am Verfassungsgericht, bis 2022. Er kennt das höchste Gericht Ecuadors von innen und spricht als Ex-Richter heute sehr frei über das, was er damals miterlebte und beobachtete: «Es gibt Druck auf das Verfassungsgericht. Das war für mich als Richter deutlich spürbar. Der Druck kommt von vielen Seiten. Beamte üben Druck aus auf Richterinnen und Richter – sogar der Präsident drohte schon per Dekret Richtern mit Disziplinarverfahren. Das ist alles Druck, ein Urteil in eine bestimmte Richtung zu fällen.»
Drogenkartelle kaufen Richter, Anwältinnen und Polizisten
Das Ausmass der Unterwanderung des Justizsystems zeigte sich etwa beim Fall «Metastasis». 2023 führte die Polizei in verschiedenen Gebieten Ecuadors zeitgleich fast 100 Razzien durch und verhaftete rund 30 Personen. Darunter Anwältinnen, Richter, Gefängniswärter, auch Polizisten aus der Anti-Drogen-Einheit – sie alle waren nachweislich korrupt – bezahlt von Drogenbanden.
Der Fall schlug hohe Wellen in Ecuador und machte erstmals eindeutig klar, dass sich die Korruption längst wie ein Krebsgeschwür in Ecuador ausgebreitet hat und zwar bis in die höchsten Sphären der Justiz, wie der ehemalige Richter Ramiro Ávila Santamaría bestätigt.
Justiz droht ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren
Die ecuadorianische Justiz verliert nicht nur ihre Unabhängigkeit, sie droht irrelevant zu werden in einem Land, in dem zunehmend das Gesetz der Strasse herrscht: Die Mordrate liegt in Ecuador inzwischen bei 45 Mordfällen pro 100'000 Bewohnerinnen und Bewohnern – ist also fast doppelt so hoch, wie die von Mexiko.
«Was es dringend bräuchte, ist eine internationale und unabhängige Überprüfung unserer Richterinnen und Richter. Mir scheint, dass wir auf nationaler Ebene nicht die institutionellen Rahmenbedingungen haben, um selber einen transparenten und geordneten Prozess zu gewährleisten», sagt der ehemalige Richter.
Die Chance, dass es zu so einer umfassenden Überprüfung kommt, ist verschwindend klein. Am 13. April findet in Ecuador der Stichentscheid in der Präsidentschaftswahl statt. Präsident Daniel Noboa tritt an gegen die Sozialistin Luisa González. González will mit härteren Strafen Drogenkriminelle abschrecken und die Armut im Land bekämpfen. Noboa hat angekündigt, dass er eine Verfassungsänderung erwägt – dadurch könnte er sich als Präsident noch mehr Macht sichern. Das Problem mit der Korruption, die Ecuadors Politik und Justiz längst unterwandert hat, dürften beide Ansätze kaum lösen.