Der Westen schafft es bis anhin offenkundig nicht, den Rest der Welt in der Ukrainefrage hinter sich zu scharen. Es ist deshalb wichtiger denn je, dass in Hiroshima neben den reichen und mächtigen G7-Mitgliedern weitere Länder eingeladen sind: Indien etwa, Indonesien, Brasilien oder die Afrikanische Union.
Gastgeber Japan biete sich an als Brückenbauer, sagt Hideaki Adachi, der Vizekabinettschef des japanischen Regierungschefs, gegenüber SRF.
Was Adachi nicht sagt: Tatsächlich steht Japan weniger im Ruf, weltpolitisch arrogant aufzutreten als die USA. Und anders als die europäischen Mächte hat es in Afrika, Lateinamerika und im Nahen Osten keine koloniale Vergangenheit.
Wir wollen den ‹globalen Süden› einbinden.
«Wir wollen den ‹globalen Süden› einbinden», sagt Adachi: «Dafür muss man zuhören können und dessen Anliegen kennenlernen.» Deshalb besuchte Japans Premierminister Fumio Kishida vor dem Gipfel Indien und mehrere afrikanische Hauptstädte.
Der Süden hat eigene Sorgen
Es sei zu respektieren, dass Länder des Südens, die im Ukrainekonflikt auf Tauchstation gingen, eigene und andere Sorgen und Anliegen hätten. Ernährungs- und Energiesicherheit, Klimaschutz oder Gesundheitsversorgung. Da wollten sie vollberechtigt mitreden und nicht wie bisher oft auf G7-Gipfeln bloss am Katzentisch geduldet sein.
Zumal China, das die westliche Dominanz brechen will, diesen Ländern viel zu bieten hat: Einen riesigen Absatzmarkt für Rohstoffe, Investitionen – und das ohne Moralpredigten, wie sich die Regierungen punkto Demokratie und Menschenrechte zu verhalten haben.
Man muss für diese Länder nicht ‹gut›, sondern vielmehr nützlich sein.
Es reiche auch nicht, diesen Ländern zu sagen: «Wir sind die Guten.» Adachi: «Man muss für sie nicht ‹gut›, sondern vielmehr nützlich sein. Nur dann gelingt eine engere Kooperation.»
Nachhaltige Partnerschaften als Ziel
Japan erprobt das gerade am Beispiel von Sri Lanka. Das Land hat sich gegenüber China abgrundtief verschuldet. Japan, der zweitgrösste Investor, will ihm nun beistehen. Mit der Hoffnung im Hinterkopf, die Regierung wieder ins freiheitlich-demokratische Lager zu locken.
Dazu sagt Adachi: «Angesichts der gewaltigen aktuellen Herausforderungen braucht der Westen Rückhalt in diesen Ländern gegen die verbündeten Autokratien China und Russland. Das gelingt nur mit nachhaltigen Partnerschaften.»
Wieso nicht eine neue G15?
Daraus leitet Professor John Kirton von der Universität Toronto, der seit Jahrzehnten über internationale Gipfeltreffen forscht, ab: Wieso nicht dauerhaft grosse Demokratien wie Brasilien, Indien, Indonesien, Südafrika oder die Türkei einbinden in den G7-Klub der Mächtigen und aus diesem eine G15-Gruppe machen?
Man könnte bloss harte Autokratien wie China, Russland oder Saudi-Arabien nicht in einen erweiterten G7-Kreis hereinlassen.
Die G20-Gruppe, in der diese Staaten bereits vertreten sind, sei wegen der geopolitischen Spannungen momentan ohnehin beschlussunfähig: «Man könnte also dort die mehr oder minder demokratischen Staaten herauslösen und bloss harte Autokratien wie China, Russland oder Saudi-Arabien nicht in einen erweiterten G7-Kreis hereinlassen.»
Neue Ideen und vor allem neue Taten sind gefragt.
Der Westen mag seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wieder geeinter sein als all die Jahre davor. Doch selbst seine geballte Macht reicht offenkundig bei Weitem nicht, um Russlands aggressivem Treiben ein Ende zu setzen.