- Die Schweiz hat im Vergleich mit den meisten anderen Ländern in Europa die individuellen Freiheiten nur gering eingeschränkt.
- Das zeigt eine Studie des Zentrums für Demokratie Aarau, die die Reaktionen von 34 europäischen Länder auf die Corona-Pandemie in der ersten Welle untersucht hat.
- Atypisch war jedoch, dass die Machtkonzentration während der ersten Welle der Pandemie hin zum Bundesrat viel stärker war als in den anderen Ländern.
Liestal vor zwei Wochen, St. Gallen letztes Wochenende – die Corona-Unzufriedenen werden lauter. Massnahmen-Skeptikerinnen und -Skeptiker schiessen dabei auch gerne auf den Mann, bezeichnen die Schweiz als Diktatur und Alain Berset als deren «Diktator».
Wie stark die Schweiz die individuelle Freiheit während der ersten Welle der Pandemie einschränkte und welche Rolle die Machtkonzentration der Regierung in der Schweiz spielte – diesen Fragen gingen Forscherinnen und -Forscher des Zentrums für Demokratie Aarau nach. Für ihre Studie verglichen sie 34 unterschiedliche europäische Länder.
Je mehr Demokratie, desto besser geschützte Rechte
Ihr Befund: je stärker die Demokratie eines Landes ist, desto besser schnitt dieses in Sachen Grundrechten während der Krise ab. «Die Schweiz folgt dem Muster. Sie hat eine sehr hohe Demokratiequalität und sie hat die Grundrechte sehr schwach eingeschränkt, es gab zum Beispiel nie eine Ausgangssperre.» sagt Sarah Engler vom Zentrum für Demokratie in Aarau.
Trotz ähnlicher Fallzahlen und Todesfällen wie in vielen anderen europäischen Ländern, schränkte die Schweiz die Grundrechte vergleichsweise wenig ein. So rangiert sie denn auch am unteren Ende der Liste, auf Rang 29 von 34. Mehr Freiheiten als die Bevölkerung in der Schweiz hatten nur jene in Luxemburg, Lettland, Finnland, Schweden und Island. Auf der anderen Seite nutzen Regierungen in Ländern, die eine abnehmende Demokratiequalität aufweisen, die Krise tendenziell dazu, ihre Macht weiter auszubauen, etwa Serbien Polen oder Ungarn.
Wie viel Einfluss die Regierungen auf die Bewältigung der ersten Corona-Welle in den einzelnen Ländern hatten, hängt wiederum davon ab, wie mächtig die Regierung innerhalb des Landes war. Und inwieweit zum Beispiel das Parlament und die Medien ihre Kontrollfunktion ausüben konnten.
Bundesrat mit starker Machtkonzentration
Daher untersuchte die Studie auch, inwiefern die Regierungen die Macht in der ersten Welle bei sich konzentrierten und die Parlamente und Medien einschränkten. Und hier zeigt sich ein anderes Bild. Die Schweiz befindet sich nämlich auf Platz neun, zwischen Albanien und Rumänien. «Dies ist damit erklärbar, dass der Bundesrat per Notrecht regiert hatte und das Parlament sich nicht einmal im Plenum getroffen hat,» sagt Sarah Engler vom Zentrum für Demokratie Aarau «das ist etwas, das wir sonst in Westeuropa so nicht gesehen haben».
Damit ist die Schweiz ein Sonderfall im europäischen Vergleich. Denn sie ist das einzige der in der Studie untersuchten Länder, das während der ersten Corona-Welle eine Machtkonzentration bei der Regierung erlebte, die Grundrechte jedoch wenig einschränkte.