Wie viel ist vom Rechtsstaat in Guatemala noch übrig? Auf diese Frage gibt Claudia Paz y Paz eine beklemmende Antwort. «Selbst die oberste Staatsanwältin Guatemalas, Consuela Porras, gilt als korrupt.» Ihr Name stehe auf einer schwarzen Liste der USA mit korrupten Richtern oder Staatsanwälten.
Wirtschaftliche Eliten des Landes, Politikerinnen und Politiker, Militärs und das organisierte Verbrechen hätten ganze Teile des Staates, auch die Justiz, unter ihre Kontrolle gebracht, so Claudia Paz y Paz. Sie nennt es den «Pakt der Korrupten».
Dieser bestimme, was ein Richter oder eine Staatsanwältin dürfe und was nicht: «Ermitteln sollte die Justiz besser nicht». Wenn Justizbeamte es trotzdem tun, laufen sie Gefahr, bedroht zu werden.
So auch 2014, als Claudia Paz y Paz zurücktrat. Sie musste damit rechnen, selbst angeklagt oder an Leib und Leben bedroht zu werden. Darum ging sie mit ihrer Familie ins Exil. Kein Einzelfall: In den letzten Jahren flohen über 30 weitere hohe Justizbeamte.
Wer bleibt, weiter unabhängig ermittelt und Recht spricht, muss damit rechnen, hinter Gittern zu landen, wie zum Beispiel Virginia Laparra. «Seit zehn Monaten sitzt die ehemalige Staatsanwältin nun schon im Gefängnis. Ihr wirft man Amtsmissbrauch vor», sagt Paz y Paz. «In Tat und Wahrheit aber ging sie nur konsequent gegen Korruption vor.»
Noch gebe es in Guatemala einige Richterinnen und Richter, die sich gegen die Gängelung wehrten. Doch sie lebten in grosser Gefahr – wie auch unabhängige Journalistinnen und Journalisten.
Das war nicht immer so. Nach 1996, nach einem langen, blutigen Bürgerkrieg, erlebte das arme zentralamerikanische Land eine zaghafte Demokratisierung. Diese ermöglichte es zum Beispiel Claudia Paz y Paz, im Jahr 2010 oberste Staatsanwältin zu werden.
Es gelang ihr, den ehemaligen Diktator Efraín Ríos Montt vor Gericht zu bringen. Doch wie in anderen Ländern Zentralamerikas, in Nicaragua oder in El Salvador, erodieren die demokratischen Errungenschaften wieder.
Der Zerfall des Rechtsstaates hat sich in der Zeit von Donald Trump sogar noch beschleunigt.
«Als die korrupte Elite Guatemalas sah, dass sie zur Rechenschaft gezogen werden kann, begann sie, die unabhängige Justiz zu demontieren», analysiert Paz y Paz. «Der Zerfall des Rechtsstaates hat sich in der Zeit von Donald Trump sogar noch beschleunigt. Die US-Regierung hat die Korrupten einfach gewähren lassen.»
Nun könnte man beschwichtigend einwenden, was im entfernten, kleinen, armen Guatemala passiere, sei nicht so wichtig. «Doch das stimmt nicht», sagt sie, «denn die Folgen spürt man selbst in Europa». Guatemala liefere Drogen auch nach Europa und sei ein Rückzugsgebiet für das internationale Verbrechen.
Noch grösser sind die Folgen für die USA. Denn in einem von Korruption, Gewalt und selbst Hunger geplagten Guatemala werden sich weiter Hunderttausende auf den Weg in Richtung USA machen.
Aufruf an die Schweiz
Um das zu verhindern, könne auch die Schweiz etwas tun: «Im nächsten Jahr finden in Guatemala Wahlen statt. Die Schweiz soll diese überwachen, denn es besteht die Gefahr, dass der Pakt der Korrupten die Opposition von der Wahl ausschliesst», befürchtet die ehemalige Staatsanwältin Paz y Paz.
Um das zu verhindern, bräuchte es internationalem Druck und eine unabhängige Justiz. Doch von der ist nicht mehr viel übrig.