Emmanuel Macron hält gerne lange Reden. Dass er auch anders kann, zeigte ein Interview mit dem französischen Sender RTL. Im Flugzeug nach Paris zog er eine persönliche Bilanz zur ersten Hälfte seiner Amtszeit: «Ich habe gelernt, dass ich mit meiner Ungeduld bei den Franzosen das Gefühl verursacht habe, dass ich das Land gegen ihren eigenen Willen verändern will.» Das Gegenteil sei wahr.
Ich will mir mehr Zeit nehmen und erklären, warum diese Reformen notwendig sind.
Diesen Eindruck hatte Präsident Macron freilich aktiv gefördert. Seine Bemerkung bei einem Staatsbesuch in Dänemark, widerspenstige Gallier wollten alle Reformen verhindern, hatte in Frankreich Empörung ausgelöst. Und Macron den Ruf eingebracht, ein abgehobener «Jupiter-Präsident» zu sein, ohne Kontakt zum Volk.
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Bild 1 von 9. Nach seiner Wahl zum Präsidenten am 7. Mai 2017 versammelte Macron seine Anhänger auf dem Innenhof des Louvre. Macrons symbolhafter Ausdruck dafür, sich von der bisherigen Parteienpolitik verabschieden zu wollen: die Rechten versammeln sich traditionell auf der Place de la Concorde, die Linken auf der Place de la Bastille. Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 9. Mit seiner Partei «La République en Marche!» wollte Macron eine Bewegung starten, die Frankreich in eine neue Ära führt. Nach zweieinhalb Jahren im Amt ist auch er im politischen Alltag angekommen: Dem Macher werden Allmachtsphantasien angelastet. Bildquelle: Reuters.
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Bild 3 von 9. Vielsagende Randepisode: Mit US-Präsident Trump lieferte sich Macron ein legendäres «Handshake-Battle»: Im Elysée zerquetschte Macron die Hand seines Gastes aus Übersee förmlich. Bildquelle: Reuters.
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Bild 4 von 9. Nass, aber erfolgreich: «Les Bleus» holten 2018 in Moskau den Fussball-Weltmeistertitel – die Euphorie des Präsidenten kannte keine Grenzen. Wladimir Putin, Schirmherr des Spektakels, konnte sich ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen: Seine Entourage hatte offenbar den Wetterbericht studiert. Bildquelle: Reuters.
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Bild 5 von 9. Monatelang zogen die Gelbwesten zu zehntausenden durch Frankreichs Städte, teilweise marodierend und immer mit klarer Kante: «Emmanuel – du lügst uns an. Das französische Volk findet dich zum Kotzen», wurde der Staatschef in einem der meistgeteilten Hits der «Gelbwesten» angefahren. Auch Gemässigtere warfen ihm Arroganz und elitäres Denken vor. Bildquelle: Reuters.
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Bild 6 von 9. Auf dem Höhepunkt der Gelbwesten-Proteste stieg der «Jupiter-Präsident» zur Erde hinunter: Macron lancierte seinen Bürgerdialog. Künftig will er seine Reformpolitik besser erklären. Bildquelle: Reuters.
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Bild 7 von 9. Im März skizzierte Macron quer über den Kontinent in Gastartikeln seine Vision von einer Erneuerung Europas. Die heimischen Kommentatoren reagierten bissig: «Sie zitieren den ‹Jupiter-Präsidenten›, der Europa Lektionen erteilen möchte, aber zu Hause noch sehr viel Arbeit hätte», berichtete SRF-Korrespondent Daniel Voll. Bildquelle: Reuters.
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Bild 8 von 9. Der Präsident als Tröster der Nation: Nach dem verheerenden Feuer in der Notre-Dame-Kathedrale eilte Macron zum Unglücksort: «Ich bin traurig, dass ich heute Abend sehen muss, wie dieser Teil von uns allen brennt», sprach er im April in die Kameras. Macrons Versprechen: In fünf Jahren soll das «Epizentrum unseres Lebens» wieder aufgebaut sein. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 9. «Macrons G7-Gipfel – wer wagt, gewinnt», titelte SRF-Korrespondent Fredy Gsteiger nach dem G7-Gipfel in Biarritz vom Sommer: Macron gab am Treffen der Weltenlenker die Richtung vor – und liess zur allgemeinen Überraschung den iranischen Aussenminister einfliegen. Die Wogen zwischen Iran und den USA glättete das rückblickend nicht. Bildquelle: Reuters.
Doch dann zwang ihn die Protestbewegung der «Gilets Jaunes» in die Knie. Macron zog die geplante Erhöhung der Treibstoffsteuern wieder zurück. Seither geht er häufiger auf Tuchfühlung mit dem Volk, will aber weiter auf Reformkurs bleiben, wie er im Interview mit RTL erklärt: «Ich will mir aber mehr Zeit nehmen und erklären, warum diese Reformen notwendig sind.»
Rentenreform als Lackmustest
Dies zeigt Präsident Macrons Vorgehen bei der angekündigten Rentenreform. Politisch ist dies das brisanteste Projekt dieser Amtszeit. Eine einheitliche Altersvorsorge mit einheitlichen Prämien und einheitlichem Rentenalter 62. Eine solche Reform hat enormes Konfliktpotenzial.
Zum Beispiel beim Personal der Staatsbahn SNCF. Zugführer können sich dort bereits mit Mitte 50 pensionieren lassen. Künftig müssen sie nicht nur länger arbeiten, sondern auch mit einer tieferen Rente rechnen. Anders als vor einem Jahr signalisiert Präsident Macron diesmal Flexibilität.
Macron drosselt seine Ambitionen
Ursprünglich sollte das neue System ab 2025 gelten. Inzwischen spricht Macron von einem langsamen Übergang, der bestehende Rechte für das aktuelle Personal nicht antaste. Einheitsrente und Rentenalter würden dann ab etwa 2050 für alle eingeführt. Damit hängt Macron seine Ambitionen deutlich tiefer, auch wenn er dies bestreitet.
Mit der Rentenreform steht für ihn viel auf dem Spiel. Die Pläne der Regierung haben grosse Unruhe ausgelöst. Bereits haben die Gewerkschaften für Anfang Dezember zum Generalstreik aufgerufen. Mit seiner neuen Dialogbereitschaft versucht Macron, die Gemüter zu besänftigen.
Er weiss: Wenn solche Streiks länger dauern, wird dies die gesamte Wirtschaft bremsen und der Regierung den Jahresabschluss verderben. Zieht er den Vorschlag zurück, wird dies Macrons zweite Halbzeit belasten. Wie dies seit über zwanzig Jahren auch bei seinen Amtsvorgängern der Fall war.