Darum geht es: Die sogenannte Helsinki Commission hat am Nachmittag ein Hearing abgehalten. Sie wirft der Schweiz vor, diese sei eine «Gehilfin Putins». Und weiter: Putin und die ihm nahe stehenden Oligarchen hätten die Schweizer Justiz korrumpiert. Die bereits im Vorfeld geäusserten Vorwürfe wurden an einer Online-Veranstaltung erläutert. Der Anlass war ein Experten-Briefing, und es nahm bloss ein Kommissionsmitglied teil, wie die US-Korrespondentin von SRF, Isabelle Jacobi, erklärt.
Wie lauten die Vorwürfe im Detail? Die Tonalität des Briefings war direkt, die Schweiz wurde dargestellt als Paradies für die Geldwäscherei. Besonders scharf äusserte sich einer der Teilnehmer, Financier und Aktivist Bill Browder. «Etwas ist faul in der Schweiz», sagte er und warf der Schweizer Bundesanwaltschaft vor, sich mit russischen Interessen gemein zu machen. Browder sagte, die Schweizer Justiz sei nicht vertrauenswürdig, und die USA sollten das im neuen Rechtshilfe-Abkommen mit der Schweiz berücksichtigen.
Was sagte der Schweizer Strafrechts- und Korruptionsexperte Mark Pieth? Er nannte die Schweiz einen der grössten Offshore-Hafen der Welt. Und er wies auf die Schlupflöcher im Geldwäschereigesetz hin – unter anderem die fehlende Sorgfaltspflicht für Anwälte. Pieth schlug vor, dass die US-Behörden direkt gegen Schweizer Anwälte vorgehen, falls Beweise vorlägen, dass diese im Auftrag ihrer russischen Klienten mit US-Sanktionen brechen. Pieth sieht also eine Rolle der USA, Druck auf die Schweiz auszuüben.
Was steckt hinter den Angriffen der Kommission? Die Schweiz wird in Washington derzeit oft positiv erwähnt. Sogar die neutrale Schweiz setze die Sanktionen um, lobte gar Präsident Joe Biden. Aber man darf laut Isabelle Jacobi nicht vergessen, dass Biden in seiner Antrittsrede die Schweiz als Offshore-Hafen für Steuerhinterzieher genannt hat. Bill Browder meinte im Briefing, es gäbe Stimmen in der US-Regierung, die derzeit nicht gegen die Schweiz vorgehen wollten, da sie eben die Sanktionen mittrage und Milliarden russischer Vermögen eingefroren habe. Browder sagte, er versuche der US-Regierung nahezulegen, dass es noch viel mehr zu holen gebe.
Was droht der Schweiz? Es ist laut der US-Korrespondentin zu früh, um das wirklich zu beurteilen. Mit dem Briefing wird das Thema russische Vermögen in der Schweiz aggressiv lanciert, aber ob dieser Aufruf von der Regierung oder dem US-Kongress gehört wird, ist nicht klar.
Natürlich würden Erinnerungen an frühere Streitigkeiten wach, an den Steuerhinterziehungsstreit oder die nachrichtenlosen jüdischen Vermögen, so Isabelle Jacobi. Werden die US-Behörden einmal auf Missstände aufmerksam, dann kann es für die Schweiz sehr schnell sehr unangenehm werden. Das heutige Briefing erregt in Washington laut Jacobi sicher keine grosse Aufmerksamkeit, aber es kann natürlich sein, dass nun Parlamentarier und Regierungsvertreter aufmerksam werden. Denn die Jagd auf russische Oligarchen-Vermögen geniesst in Washington hohe Priorität.
So reagiert die Schweiz: Der Bundesrat zeigte sich überrascht über die Vorwürfe. Bundespräsident Ignazio Cassis habe Aussenminister Anthony Blinken persönlich mitgeteilt, dass er die Formulierungen in der Einladung für die Online-Veranstaltung in aller Entschiedenheit zurückweise, sagte Bundesratssprecher André Simonazzi bereits gestern vor den Medien in Bern.