SRF News: Herrscht unter den verbleibenden 27 EU-Staaten wirklich die totale Einigkeit?
Sebastian Ramspeck: Zumindest kann ich bestätigen, dass ich noch nie einen EU-Gipfel erlebt habe, der so harmonischen und in Einigkeit vonstatten gegangen ist. Es gab offenbar nach der Verabschiedung der Richtlinien Applaus. Das ist doch alles eher ungewöhnlich.
Das Ganze soll zeigen, dass die Staats- und Regierungschefs, die sich oft uneinig sind, begriffen haben, dass Verhandlungen vergleichbar mit Seilziehen sind. Und bei den Verhandlungen gegenüber Grossbritannien geht es nun darum, Stärke zu zeigen und eben am gleichen Strick zu ziehen. Am Ende des Seilziehens soll das Seil möglichst weit im Feld der Europäischen Union sein.
Allerdings ist klar: Der Verhandlungsprozess hat erst begonnen, die eigentlichen Verhandlungen beginnen erst im Juni. Und es wird sicher noch Gründe genug geben, um die Einigkeit auf die Probe zu stellen.
Wo sehen Sie das grösste Konfliktpotenzial innerhalb der EU?
Der grösste Knackpunkt werden die Finanzen sein. Wir dürfen nicht vergessen: Der Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union reisst jährlich ein Loch von mehr als zehn Milliarden Euro in die Kassen der EU. Die Europäische Union hat zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: Entweder sie verkleinert das Budget – das wäre für viele der logische Schritt. Aber das heisst eben auch, dass die armen EU-Staaten, wie zum Beispiel die Slowakei, Ungarn oder auch Griechenland, in Zukunft deutlich weniger Geld aus den Kassen Brüssels bekommen.
Oder: Die EU geht den anderen Weg und stopft die Löcher. Das würde dann eben heissen, dass die reichen EU-Staaten, wie Deutschland, die Niederlande oder Schweden, sehr viel mehr in die Brüsseler Kassen einbezahlen. Und da können wir uns sicher sein, dass diese Fragen ganz sicher nicht in 60 Sekunden gelöst werden können. Da könnte es mit der Einigkeit recht schnell vorbei sein.