Uno-Generalsekretär António Guterres zeichnet ein düsteres Bild vom Zustand der Welt: «Konflikte, der Klimawandel und die Corona-Pandemie haben zur grössten humanitären Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg geführt.»
Immer wieder appelliert Guterres an die Regierungen rund um den Erdball, mehr Hilfsgelder zur Verfügung zu stellen. Zumal nach Schätzungen der Uno im kommenden Jahr mehr als 270 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden.
Viel Not, viel Leid
Dass es viel Leid und Elend gibt auf der Welt, erst recht in Zeiten einer globalen Pandemie, ist unbestritten. Ebenso, dass Nothilfe ein Gebot der Menschlichkeit sein kann. Umstritten ist aber, was gute Hilfe ausmacht – und ob all die Hilfsgelder überhaupt helfen.
«Hilfe ist eine Multi-Milliarden-Dollar-Industrie geworden», sagt Jessica Alexander, die früher für Hilfsorganisationen im Einsatz stand und nun für die Nachrichtenagentur «The New Humanitarian» arbeitet.
Knapp 31 Milliarden Dollar flossen 2020 in die humanitäre Hilfe für Kriegs- und Krisengebiete. Ganz oben auf der Geberliste stehen die USA, Deutschland und die EU-Institutionen.
Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), das Welternährungsprogramm der Uno (WFP) oder Ärzte ohne Grenzen (MSF) kämpfen mit modernem Marketing um immer noch mehr Spendengelder. Gelder, die momentan vorrangig in Syrien, dem Jemen und dem Libanon eingesetzt werden.
Jemen, eine Tragödie
Wobei das Bürgerkriegsland Jemen ein Beispiel dafür ist, dass Nothilfe kontraproduktiv sein kann. Das zumindest sagt Asher Orkaby, ein jemenitisch-amerikanischer Historiker und Autor («Yemen», 2021).
«Es wird für den Jemen sehr schwer, sich wieder von der Hilfe zu trennen», sagt Orkaby: «Wie für einen Drogenabhängigen, der in den Entzug muss.»
Im Jemen, am Südzipfel der arabischen Halbinsel, tobt seit 2014 einer der blutigsten Kriege unserer Zeit. Die schiitischen Huthi-Milizen kämpfen mit Beistand des Irans gegen die sunnitische Regierung, die von Saudi-Arabien unterstützt wird.
Aus der ganzen Welt fliesst Hilfe ins Land, seit Kriegsbeginn mehr als 20 Milliarden Dollar. Damit sei zwar kurzfristig Not gelindert worden, langfristig aber hätten sich die Aussichten verschlechtert, sagt Orkaby.
Hilfsorganisationen, sagt Orkaby, unterlägen einer Eigendynamik. So sei es auch im Jemen vorgekommen, dass Mitarbeitende die Lage vor Ort noch schlimmer darstellten, als sie ohnehin schon sei: «Je mehr hungernde Kinder wir am Bildschirm sehen und je alarmierender die Berichte sind, desto höher wird die Spendensumme.»
Besser helfen
Der Schlüssel zu wirksamerer Hilfe liegt für Orkaby in lokalen Organisationen: näher bei den Menschen und ihren Bedürfnissen. Ein Vorschlag, den viele Geberländer zwar auf dem Papier unterstützen, oft aber in der Praxis nicht umsetzen – zumal grosse internationale Organisationen dadurch an Einfluss verlieren könnten.
Auch sollen zum Beispiel Hilfspakete durch Bargeldzahlungen ersetzt werden, weil Notleidende selbst am besten wüssten, was sie benötigen.
Eine Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist nämlich zum Schluss gekommen ist, dass Hilfsgelder oft nicht dem eigentlichen Bedarf entsprechend vergeben werden, sondern abhängig vom Mandat und den Möglichkeiten des Hilfswerks. Also zum Beispiel dort, wo es Mitarbeitende gibt – statt dort, wo die Not am grössten ist.
IKRK-Präsident Peter Maurer räumt ein, dass «Organisationen, die Hilfe leisten, flexibler sein müssen und besser zuhören müssen, wo die genauen Bedürfnisse von Bevölkerungen sind». Dafür müsse auch die Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen enger werden. Allerdings sehe er «kein fundamentales Problem im Konzept der Hilfe», sagt Maurer.
In der Diskussion gehen die Ursachen für die Not zuweilen vergessen
In der Debatte über Sinn und Unsinn von Hilfsmassnahmen werde ausgeblendet, welches die eigentlichen Ursachen für die Not seien – zum Beispiel Waffenexporte oder die Unterstützung, die Kriegstreiber von befreundeten Regierungen erhielten.