Nirgendwo auf diesem Planeten lebt ein angestammtes Volk so weit nördlich wie im Nordwesten von Grönland. Der Name «Inughuit» bedeutet «die grossen und wahren Menschen» und bezieht sich auf ein Volk von Jägern und Fischern, das als erste Menschen von Nordkanada aus vor über 4500 Jahren auf die grösste Insel der Welt eingewandert war.
Wegen ihrer abgelegenen Lage, fast 2000 Kilometer nördlich vom Südwesten Grönlands, das von den nordischen Wikingern im 10. Jahrhundert entdeckt worden war, lebten die Inughuit bis ins 19. Jahrhundert ohne Kontakt zur Aussenwelt. Sie waren überzeugt, die einzigen Menschen auf der Erde zu sein.
Zwangsumsiedlung im Sommer 1953
Das änderte sich schlagartig durch die Weltkonflikte des 20. Jahrhunderts. Zu Beginn der 1950er-Jahre erlaubte die damalige Kolonialmacht Dänemark den US-Amerikanern, auf Grönland Militärstützpunkte zu errichten.
Besonders rücksichtslos gingen die Behörden im Land der Inughuit vor: Im Sommer vor siebzig Jahren wurden die dort wegen der günstigen Bedingungen lebenden Inughuit-Familien von den dänischen Kolonialbehörden in einer Nacht-und-Nebel-Aktion über 100 Kilometer weiter in den unwirtlicheren Norden umgesiedelt. In Thule stationierten die USA in der Folge einen Teil ihrer strategischen B52-Atombomber.
Ein Hilferuf der Inughuit bei den Brudervölkern weiter südlich in Grönland blieb mit dem Hinweis, dass die Inughuit «ja keine richtigen Grönländer seien», unbeantwortet, wie sich Nachfahrin Ruth Kristiansen erinnert.
Folgen des Klimawandels
So blieb Nordwestgrönland über Jahrzehnte Spielball verschiedener Nicht-Inughuit-Interessen: Die USA bauten den Thule-Stützpunkt zu einem ihrer wichtigsten ausländischen Stützpunkte aus. Die ehemalige Kolonialmacht Dänemark – die aussenpolitisch bis heute für Grönland zuständig ist – bestritt mit dem Nachbarn Kanada bis vor kurzem den sogenannten «Whisky-Krieg» über die Souveränität einer unbewohnten Insel.
Und selbst die Regierung des seit 1979 autonomen Grönlands kümmerte sich kaum um das entfernte Inughuit-Volk, dessen Lebensbedingungen sich wegen des klimabedingten Rückzuges von Packeis und Schnee in den letzten Jahren weiter verschlechtert haben.
Russlands Krieg bewirkt Umdenken
Die Folgen von Russlands völkerrechtswidrigem Krieg gegen die Ukraine haben nun aber auch die Inughuit erreicht: Ihr Stammland wird wie schon im Kalten Krieg zu einem Hotspot der Geopolitik. Symbolträchtig hat der US-Militärstützpunkt in diesem Frühjahr seinen ursprünglichen Inughuit-Namen «Pituffik» zurückerhalten.
Die grönländische Autonomieregierung in Nuuk und Washington haben ihre bilaterale Kooperation verstärkt und den Inughuit mehr Unterstützung zugesichert. Dänemark, das um seinen Einfluss im höchsten Norden bangt und gegenüber Grönland weiterhin ein schlechtes Gewissen hat, schickte in den letzten Tagen eine hoch dotierte Parlamentarierdelegation in den höchsten Norden.
Diese besuchte die heutigen Bevölkerungszentren der Inughuit in Qaanaaq und Siorapaluk und führte – wie einer Medienmitteilung zu entnehmen ist – «offene und gute Gespräche über die Sorgen und Probleme der Lokalbevölkerung».