Der amerikanische Präsident hat keinerlei Vorstellung davon, warum die westliche Militärallianz gerade auch für sein Land enorm wichtig ist. Dies obschon die Nato nach dem Zweiten Weltkrieg von den USA selber ins Leben gerufen wurde.
Trump sieht die europäischen Nato-Partner einzig als Profiteure und droht immer mal wieder, aus dem Bündnis auszutreten.
Ständig setzt Trump die Europäer unter Druck, mehr beizutragen zu den gemeinsamen Verteidigungsanstrengungen. Die USA seien nicht länger bereit, die Last fast allein zu schultern.
Trump vergleicht Äpfel mit Birnen
Richtig ist, dass Washington – bezogen auf die Bevölkerungszahl – weit höhere Militärausgaben ausweist als die meisten der übrigen 28 Nato-Länder. Weshalb schon Präsident Barack Obama zu einer faireren Lastenteilung aufrief.
Falsch ist jedoch das Ausmass der Quersubventionierung, das die USA beklagen. Denn bei den Europäern kommt der allergrösste Teil ihrer Rüstungsausgaben der Verteidigung des Kontinents zugute, dient also dem Zweck der Nato.
Bei der Supermacht USA hingegen, die auch anderswo, etwa im Pazifik, Interessen vertritt und Allianzen pflegt, fliesst nur ein Teil in die transatlantische Sicherheit. Wer also, wie Trump, nur Wehretats vergleicht, vergleicht Äpfel mit Birnen.
Der Hauptgrund ist nicht Trump
Nato-Chef Jens Stoltenberg stellt zu Recht fest, dass etliche europäische Nato-Länder ihre Armeebudgets neuerdings wieder kräftig hochfahren – nach Jahren der Kürzungen seit dem Ende des Kalten Krieges.
Wenn Stoltenberg diese neuen Investitionen aber einzig den Drohungen Trumps zuschreibt, so strapaziert er die Wirklichkeit. Der Hauptgrund dafür, dass wieder mehr Geld in die Verteidigung fliesst, heisst nicht Trump, sondern Russland.
Seit der russischen Annexion der Krim schätzen die meisten europäischen Regierungen schlicht die Bedrohungslage wieder höher ein.
Trump pfeift und Europa kuscht?
Stoltenbergs Schmeicheleien an die Adresse des US-Präsidenten sind für die Europäer peinlich: Sie wirken, als ob Trump bloss pfeifen muss – und schon kuschen sie.
Der Nato-Generalsekretär ist aber bereit, diesen Kniefall im Interesse der Sache zu machen. Offenbar ist er davon überzeugt, dass man Trump nur dann ein Bekenntnis zum westlichen Militärbündnis entlocken kann, wenn er dort als der grosse Macher auftreten kann, der das Steuer herumreisst.
Es ist deshalb kein Zufall, dass Stoltenberg seine Äusserungen ausgerechnet in Trumps Lieblingssender «Fox News» abgab.
Stoltenberg, der gewiefte Diplomat
Der Norweger Stoltenberg gilt als gewiefter Politiker und Diplomat. Ihm ist bewusst, dass sich die Nato gerade jetzt, kurz vor ihrem 70. Geburtstag im April, keinen offenen Streit mit dem Präsidenten ihres mit Abstand wichtigsten Mitgliedlandes leisten kann.
Er weiss auch, dass die Bedeutung der Nato längst nicht nur von ihrer militärischen Schlagkraft abhängt, sondern mindestens ebenso sehr von ihrer Geschlossenheit.
Eine gespaltene Nato flösst niemandem Respekt ein. Deshalb ringt Stoltenberg darum, Trump irgendwie einzubinden – auch wenn der Preis dafür ein Kotau ist. Das Ziel rechtfertigt die Mittel.