Fünf Wochen nach dem Massaker der Hamas präsentiert sich die Lage in Gaza offenbar dramatisch. Das UNO-Welternährungsprogramm sagt, «Brot ist im Gazastreifen ein Luxus» – und warnt vor einer Hungersnot. Die Weltgesundheitsorganisation sorgt sich, dass Krankheiten ausbrechen könnten. Christoph Hanger vom Internationalen Roten Kreuz (IKRK) spricht von einer sich nähernden humanitären Katastrophe.
SRF News: Wie ist die humanitäre Situation in Gaza im Moment?
Christoph Hanger: Vor unseren Augen spielt sich in Gaza eine unerträgliche menschliche Tragödie ab. Menschen werden getötet, vertrieben und verwundet. Es fehlt Hunderttausenden von Vertriebenen an lebensnotwendigen Dingen wie Unterkünften, Nahrungsmitteln, Wasser und Hygiene. Die Situation nähert sich rasch einer humanitären Katastrophe.
Wie steht es um die Versorgung mit Lebensmitteln?
Die Menge an humanitärer Hilfe im südlichen Teil des Gazastreifens ist bei weitem nicht ausreichend. Seit dem 7. November sind keine Bäckereien mehr offen, da es an Treibstoff, Wasser und Weizenmehl mangelt und die Feindseligkeiten grosse Schäden verursacht haben. Familien haben Mühe, selbst die grundlegendsten Lebensmittel zu finden. Eltern opfern ihre Mahlzeiten, um ihre Kinder zu ernähren. Wir wiederholen deshalb unsere Forderung nach einem ungehinderten und regelmässigen Fluss an humanitärer Hilfe.
Viele Menschen sind in den Süden des Gazastreifens geflüchtet. Am Donnerstag wurden Flugblätter abgeworfen, die vor Bombardierungen in der Region Khan Younis gewarnt haben. Wohin können diese Menschen fliehen und sich in Sicherheit bringen?
Kein Ort in Gaza ist im Moment sicher. Wir sind äusserst besorgt über die prekären und unsicheren Bedingungen, unter denen die Zivilbevölkerung evakuiert wird. Männer, Frauen und Kinder laufen mit weissen Fahnen Dutzende von Kilometern an Leichen vorbei, die auf den Strassen liegen. Unabhängig von den Modalitäten der Evakuierungen, sicheren Zonen oder humanitären Pausen sind die Konfliktparteien weiterhin an ihre Verpflichtungen nach dem humanitären Völkerrecht gebunden. Die Zivilbevölkerung, das Personal medizinischer Einrichtungen und die humanitären Helfer sind durch das humanitäre Völkerrecht geschützt.
Können Sie zurzeit Hilfe bringen? Reicht das?
Bislang haben etwa 25 Lastwagen mit IKRK-Hilfsgütern die Grenze zum Gazastreifen passiert. Das ist bei weitem nicht genug und nur ein Tropfen auf den heissen Stein. Vor einigen Tagen haben wir gemeinsam mit dem Palästinensischen Roten Halbmond lebenswichtige Haushaltsgegenstände wie Decken, Planen und Hygienepakete an mehr als 13’000 Menschen im Nahbereich des Gazastreifens verteilt. Weitere Verteilungen sind im Gange.
Die humanitären Bedürfnisse übersteigen bei weitem die humanitäre Hilfe, die ankommt.
Ausserdem unterstützen wir Krankenhäuser mit medizinischen Hilfsgütern, um ihren Betrieb aufrechtzuerhalten und ihnen zu helfen, den massiven Zustrom von Patienten zu bewältigen. Die humanitären Bedürfnisse übersteigen bei weitem die humanitäre Hilfe, die ankommt und die wir verteilen können. Das muss sich ändern.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.