Seit Monaten plagt die Menschen im Süden Madagaskars eine Hungerkrise. Verschiedene Gründe spielen mit: die Dürre seit drei Jahren, eine Plage von Wanderheuschrecken, der Einbruch des Tourismus und fehlende Einnahmequellen wegen der Covid-19-Pandemie.
«Das ist die schlimmste Krise in 40 Jahren», nennt die freie Journalistin Bettina Rühl die Situation in Madagaskar. Sie beobachtet die Lage in dem Land und hält sich im Moment in Nairobi auf.
«Sie haben in den letzten Wochen und Monaten verkauft, was sie noch hatten, auch Haushaltsgegenstände und Ackergeräte. Sie haben buchstäblich nichts mehr und sie essen alles, was sie finden – auch Gräser und Wurzeln oder Lehm, um irgendwie den Magen zu füllen.» Und gar Gräser und Wurzeln seien allmählich aufgebraucht.
Sie haben buchstäblich nichts mehr und sie essen alles, was sie finden – auch Gräser und Wurzeln oder Lehm, um irgendwie den Magen zu füllen.
Die Lage spitzt sich zu. Denn bekommt ein Mensch nicht genügend Essen, so kann er die Nahrung irgendwann nicht mehr verwerten. Nahrung allein nütze also nichts mehr, man müsse die Menschen erst medizinisch aufbauen. «Und gerade bei Kindern ist es so, dass auch die grossen Organe – Leber, Herz, Niere – durch schwere Unterernährung Schaden nehmen. Das kann zum Tod führen.»
Es gibt Hilfsversuche. Grosse NGOs wie zum Beispiel Médecins sans Frontières (MSF) und Amnesty International schlagen Alarm. Dennoch kämen die Hilfe und die Gelder bei der Bevölkerung kaum an. Schuld daran sei auch die Regierung. «Diese Region, der Süden Madagaskars, wird seit Jahren vernachlässigt. Es fehlt die nötigste Infrastruktur, es gibt keine Strassen, keine Gesundheitszentren.»
Die Hilfsorganisation MSF spreche von vergessenen Menschen – in Anspielung auf den Begriff von vergessenen Kriegen und vergessenen Konflikten. Sie seien nicht erreichbar. Die Menschen müssten in vielen Fällen zu den Helfern kommen. «Das bedeutet stundenlange Fussmärsche, und wenn sie entkräftet sind durch den Hunger, schaffen sie das nicht mehr», sagt die freie Journalistin.
Ein weiteres Problem sei Kriminalität. «Immer häufiger gibt es Berichte, dass Menschen überfallen werden.» Beispielsweise, wenn sie von einer Verteilung kämen, würden kriminelle Banden ihnen das wenige Übrige abnehmen. «Die Regierung müsste viel mehr tun, um die Sicherheitslage zu verbessern.»
Im November müsste in Madagaskar die Regenzeit beginnen und damit zumindest das Ende der Dürre. Die Prognosen zeigen aber keine wettertechnische Besserung. Bisher seien quasi keine Regenwolken zu sehen. «Hinzu kommt, selbst wenn Regen fiele: Damit Lebensmittel da sind, müssten erst mal die Ernten reifen. Das würde in jedem Fall noch Wochen oder vielleicht sogar Monate dauern.»