Brutale Zurückweisung von Migrantinnen und Migranten gibt es auch an der EU-Aussengrenze zwischen Bosnien und Kroatien. Zuständig ist allein die kroatische Polizei, nachdem Frontex 2019 abgezogen war. Vor Ort recherchiert zurzeit die freie Journalistin Franziska Grillmeier.
SRF News: Sie stehen an der Grenze von Bosnien zu Kroatien. Was können Sie zur Lage sagen?
Franziska Grillmeier: Ich bin im Norden von Bosnien-Herzegowina in einer kleinen Grenzstadt mit noch drei bewohnten Häusern. Hier sind relativ viele afghanische Familien in alten Baracken und verfallenen Häusern untergekommen. Sie versuchen bei Eiseskälte und unter schwierigsten Bedingungen fast täglich, von Bosnien-Herzegowina nach Kroatien zu gelangen. Sie werden meistens und oft auch mit Gewalt von der kroatischen Grenzpolizei zurückgedrängt.
Die Flüchtlinge werden meistens und oft auch mit Gewalt von der kroatischen Grenzpolizei zurückgedrängt.
Sie sprechen von Gewalt, wie sieht das aus?
Viele Familien, mit denen ich gesprochen habe, gehen direkt zu den Grenzposten und ersuchen um Asyl, weil sie zum Teil kleine Kinder bei sich haben. Viele haben nicht mehr die Kraft, den tagelangen Marsch zurückzugehen. Sie berichten, dass die Grenzpolizei in den Boden schiesse. Handys würden abgenommen und Kameras durchstochen, um die Lage vor Ort nicht dokumentieren zu können. Von heruntergerissenen Kopftüchern und Beleidigungen ist die Rede.
Das alles passiert schon seit Jahren, doch jetzt mit der Schneeschmelze versuchen wieder vermehrt Leute, die Grenze zu überqueren. Der Grenzschutz reagiert wieder viel gewalttätiger, laut Zeugenaussagen auch mit Metallstangen. Tatsächlich sieht man ab und zu Verletzte mitten in der Nacht am Strassenrand entlanggehen.
Hat sich die Lage seit dem Abzug der Frontex 2019 verschlimmert?
Viele Menschenrechtsorganisationen weisen seit Jahren darauf hin, dass es vermehrt zu illegalen Push-Backs kommt. Im vergangenen Jahr sollen es 25'000 gewesen sein. Darunter waren laut dem Danish Refugee Council auch 800 Kinder im Alter von unter sechs Jahren.
Was schlimmer geworden ist: Trotz der dokumentierten sehr groben Menschenrechtsverletzungen wird auf politischer Ebene nicht gehandelt. Den Menschen wird das Recht verweigert, einen Asylantrag zu stellen.
Trotz der dokumentierten sehr groben Menschenrechtsverletzungen wird auf politischer Ebene nicht gehandelt.
Wie ist zu erklären, dass trotz der Dokumentationen nichts geschieht, vonseiten der EU beispielsweise?
Es wird ganz oft hingenommen, dass sich Kroatien als Schild Europas betrachtet und den Grenzschutz um jeden Preis aufrechterhalten will. Das Land verspricht sich auch Zugang zum Schengenraum, wie vom Innenministerium oft zu hören ist. Dabei wird immer mehr auch Gewalt akzeptiert. Von der externen Gruppe, die mit 300'000 Euro von der EU Kontrollmechanismen einführen soll, ist nichts zu spüren. An der Grenze herrscht weiterhin Rechtlosigkeit.
Was braucht es nach ihrer Einschätzung am dringendsten?
Die Menschen sind enorm schwierigen Bedingungen ausgeliefert. Dazu kam im Dezember der Brand, der die Flüchtenden und Migranten im Camp Lipa nahe der Stadt Bihac obdachlos machte und Tausende vertrieben wurden. Es muss jetzt sofort gehandelt werden, damit die Menschen in Sicherheit gelangen können. Es geht um eine überschaubare Zahl von insgesamt 8000 Menschen in Bosnien-Herzegowina, wovon 2000 in schlimmsten Bedingungen ausharren. Darauf muss sich das Augenmerk wieder richten, im Sinne der Rechtsstaatlichkeit und der Genfer Flüchtlingskonvention.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.