Zweteslana Galabova stösst ein Tor zum Elend auf. Nowi Iskar liegt im Niemandsland bei Sofia. Galabova ist hier seit 1994 Direktorin einer der grössten psychiatrischen Kliniken Bulgariens. Im ehemaligen Kloster hausen seit 70 Jahren psychisch Kranke. Viele leben in Gebäuden, die eigentlich als Warenlager gedacht waren. Wie die Frauen auf dieser Station, die wegen der Journalistin in Aufruhr sind.
«Es ist schrecklich hier. Sie verbieten mir zu telefonieren», sagt eine Patientin mit aufgedunsenem Gesicht. Sie sitzt im Neonlicht auf einem Gitterbett mit zerschlissener Wolldecke, daneben, dicht an dicht, fünf andere Betten. Das Zimmer ist dafür viel zu klein. Die Fliesen sind voller Risse, Putz rieselt herab. Eine einzige Toilette für 30 Frauen. Der unglücklichen Frau kommen die Tränen. Galabova tröstet.
Dabei ist der Klinikdirektorin manchmal selbst nach Weinen. «Ich schäme mich für das, was Sie hier sehen. Diese Anstalt gehört dem bulgarischen Staat, Mitglied der Europäischen Union.» Seit drei Jahren bittet sie den Staat um Geld für eine Renovation. Nur: Das Gebäude, in dem die Frauen hausen, gibt es offiziell gar nicht. Es ist nirgendwo verzeichnet. Also gibt es auch kein Geld dafür.
Kranke werden stigmatisiert
«Wir sammeln Plastikverschlüsse von Flaschen und verkaufen sie. Von dem Geld können wir dann etwas renovieren lassen», sagt Galabova. In Bulgarien, sagt die Chef-Psychiaterin, sprechen die meisten Menschen nur hinter verschlossenen Türen über ihre psychischen Probleme. «Psychisch Kranke werden stigmatisiert. Gemeinden verhindern, dass auf ihrem Gebiet psychiatrische Kliniken entstehen.» Viele Patienten hätten nie Besuch, würden nie angerufen. Einige wohnen seit Jahren hier.
Bulgariens Psychiatrie funktioniert noch heute wie zu Sowjetzeiten. Medikamente als einziger Weg. Moderne Medikamente gibt es genug, Psychotherapie aber bezahlt die Krankenkasse nicht. Trotzdem, sagt die Klinikdirektorin, versuche sie in Nowi Iskar vieles anzubieten.
Katastrophale Löhne
Wir klopfen an die Tür der Station für psychotische Männer. Eine junge Psychiaterin öffnet. Roter Lippenstift mitten in Gestank, Aggressivität und Ausweglosigkeit. «Wir Ärzte lieben Menschen, wir möchten ihnen helfen. Ich bin hier, weil ich nicht will, dass sich in Bulgarien niemand um die Kranken kümmert.» Manchmal sei sie die einzige Ärztin für 140 Kranke.
Fast 90 Prozent der jungen Psychiater verlassen Bulgarien. Zu niederschmetternd die Misere, zu schlecht der Lohn. 700 Euro für eine ausgebildete Ärztin, 1200 für die Klinikdirektorin. Diese bleibt, weil sie will, dass es hier besser wird. «Ich wünsche mir, dass es Nowi Iskar in zehn Jahren nicht mehr gibt.»
Ein Hoffnungsschimmer
Die Hoffnung bleibt auch: Psychiater aus anderen Ländern und die EU haben klargemacht, dass es so nicht geht. Die bulgarische Regierung hat dann ein paar Millionen Franken überwiesen für die Psychiatrie. Bald könnte sie noch deutlich mehr Geld sprechen.
Jetzt funktioniere zumindest die Heizung in Nowi Iskar, sagt die Klinikdirektorin. Es sei endlich wärmer als 15 Grad. Und neu eröffnen sogar hier und dort in Bulgarien Tageskliniken mitten in Wohnquartieren. Gemeinden und Anwohner haben zunehmend Verständnis, zunehmend weniger Angst vor psychisch Kranken.