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Im Visier des Geheimdiensts «Die AfD kann sich nun als Opfer stilisieren»

Die AfD wird vom deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als potenziell rechtsextrem eingestuft. Die gesamte Partei kann künftig mit Mitteln des Geheimdienstes ausgespäht werden. Somit wird die grösste Oppositionspartei in Deutschland zum Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Extremismus-Experte Tom Mannewitz glaubt nicht, dass dies die radikalen Kräfte in der AfD schwächen muss. Es könnte sie innerhalb der Partei sogar stärken.

Tom Mannewitz

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Der Politikwissenschaftler Tom Mannewitz ist Spezialist für Demokratie-, Extremismus- und Populismusforschung. Er ist Inhaber der Juniorprofessur «Politikwissenschaftliche Forschungsmethoden» an der Technischen Universität Chemnitz.

SRF News: Ist es gerechtfertigt, dass die AfD zum Verdachtsfall wird?

Tom Mannewitz: Die Entscheidung scheint in jedem Fall gerechtfertigt. Man könnte sogar die Frage stellen, warum es so lange gedauert hat. Diese Entscheidung hätte man schon vor einigen Monaten, wenn nicht sogar Jahren vertreten können. Die AfD ist sicher keine vollständig rechtsextreme Partei. Die Sache liegt nicht so klar wie etwa seinerzeit bei der SRP aus den 1950er Jahren oder der NPD.

Dass es rechtsextreme Elemente innerhalb der AfD gibt, ist aber unbestritten. Es ist nicht nur ein kleiner Anteil innerhalb der Partei, sondern es handelt sich um einen politisch einflussreichen Teil. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich dieser einflussreiche Teil, der sich seinerzeit im «Flügel» wiederfand, aufgelöst hat. Denn die Personen sind nach wie vor in der Partei.

Der Beginn eines Superwahljahrs mit sechs Landtagswahlen und der Bundestagswahl ist ein heikler Moment, um den Schritt zu vollziehen. Die AfD moniert denn auch, der Staat wolle die Partei in dieser wichtigen Phase diskreditieren. Ist etwas dran an diesen Vorwürfen?

Die Argumentation der AfD kann man unterschiedlich auslegen. Man könnte sie sogar dahingehend interpretieren, dass der Umstand, dass die Partei beobachtet wird, ihr sogar nützen könnte. Denn sie kann sich nun als Opfer stilisieren. Sie kann sich als jemand darstellen, der nicht gerade verfolgt wird, aber im Superwahljahr zumindest Repressalien unterliegt. Die Partei hat es leicht, hier etwas herauszufischen.

Björn Höcke
Legende: Der rechtsextreme Björn Höcke war eines der Aushängeschilder des «Flügels» und prägt mit seinem völkischen Gedankengut noch immer eine wichtige Strömung in der Partei. Keystone

Sie sagen, die AfD könne in diesem Wahljahr als Opfer stilisieren. Welche Kräfte stärkt das nun innerhalb der Partei?

Man könnte meinen, dass die Gemässigten gestärkt werden. Deren Argumentation könnte jetzt lauten: Schaut euch an, wohin es führt, wenn die Extremisten in der Partei eine zu grosse Rolle spielen. So klar ist es aber nicht. Denn selbst wenn Leute aus der Partei austreten, heisst das ja, dass die Extremisten innerhalb der Partei langfristig Stimmen gewinnen. Innerhalb der Partei könnte es also ein Sieg für den «Flügel» beziehungsweise dessen ehemalige Anhänger sein. Mit Blick auf die Wahlurnen ist es wahrscheinlich eine Niederlage.

Im Westen hat man grössere Berührungsängste als im Osten, eine Partei zu wählen, die zumindest in Teilen mit Rechtsextremen kooperiert beziehungsweise aus Rechtsextremen besteht.

Sehen Sie mit dieser Einstufung als Verdachtsfall Unterschiede bezüglich Westen und Osten, wenn es um die Attraktivität der Partei geht?

Ich vermute, dass sich die Konsequenzen bei den Landtagswahlen im Osten im Rahmen halten werden. Die Informationen, auf denen die Einschätzungen des BfV beruhen, sind im Grunde nichts Neues. Im Westen mag das ganz anders ausschauen. Hier hat man grössere Berührungsängste, eine Partei zu wählen, die zumindest in Teilen mit Rechtsextremen kooperiert beziehungsweise aus Rechtsextremen besteht. Ich will nicht sagen, dass die Partei im Osten wegen ihres Rechtsextremismus gewählt wird. Das würde deutlich zu weit gehen. Aber man ist hier deutlich toleranter gegenüber solchen Entwicklungen.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit vom 03.03.2021, 18 Uhr ; 

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