Nach dem Sturm aufs Kapitol von Trumps Anhängern: Die Demokraten in den USA wollen, dass Vizepräsident Mike Pence den Präsidenten absetzt, basierend auf dem 25. Zusatzartikel der US-Verfassung. Sollte Pence innert 24 Stunden nicht handeln, so wollen sie ein Amtsenthebungsverfahren in die Wege leiten. Stephan Bierling, Professor für internationale Politik und transatlantische Beziehungen, hält das für nötig.
SRF News: Ein Amtsenthebungsverfahren – keine zwei Wochen bevor Trump ohnehin das Weisse Haus verlässt. Ergibt das Sinn?
Stephan Bierling: Ja. Es geht hier um einen Akt der politischen Selbstreinigung. Der ist unbedingt notwendig. Trump hat sich letzte Woche als Politverbrecher gezeigt, der das politische System einzustürzen bereit ist. Das kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Und wenn Pence dieses Verfahren nicht einleitet und das Kabinett nicht über den Geisteszustand des Präsidenten abstimmen lässt, dann muss das Repräsentantenhaus handeln.
Mit einem Impeachment könnte man Trump verbieten, je wieder einen offiziellen Posten auf Bundesebene zu besetzen. Es wäre ihm unmöglich, 2024 wieder zu kandidieren. Geht es den Demokraten im Kern darum?
Das sind zwei Verfahren. Erst einmal muss das Impeachment abgeschlossen werden. Das bedarf einer Verurteilung. Dann ist es prinzipiell möglich, mit einer Mehrheit in beiden Häusern eine erneute Kandidatur der Person, die «impeached» ist, zu verbieten. Es geht den Demokraten aber vor allem darum, die Republikaner zur Stellungnahme zu zwingen. Diese haben Trump nun zum Teil hinter sich gelassen, andere halten ihm die Stange. Hier müssen die Republikaner beim Impeachment Farbe bekennen. Das ist sehr wichtig.
Es gibt wohl keine Variante, bei der Trump aus der ganzen Sache gut rauskommen wird.
Auch die Republikaner haben ein Interesse daran, sich von Trump zu trennen, denn einige wollen ja 2024 selbst Präsidentschaftskandidat werden. Und solange Trump im Spiel ist, stehen ihre Chancen natürlich schlechter.
Also ist es ein zweischneidiges Schwert?
In der Tat. Aber es gibt wohl keine Variante, bei der Trump aus der ganzen Sache gut rauskommen wird. Nun hat er das Recht so sehr gebeugt, dass sich selbst die Treuesten fragen müssen, ob es sie nicht mit in den Abgrund zieht.
Die Zeit für ein Impeachment wird knapp. Gehen die Demokraten davon aus, dass das Verfahren weitergeht, wenn Trump schon weg ist?
Das Impeachment selbst ist relativ leicht durchzusetzen. Es bedarf nur einer Mehrheit im Repräsentantenhaus. Über diese verfügen die Demokraten. Sie können sogar den Justizausschuss umgehen und über die «Articles of Impeachment», also die Vorwürfe gegen Trump, relativ schnell, innerhalb von zwei, drei Tagen, abstimmen. Dann ist die Verhandlung im Senat.
Das wird wahrscheinlich nicht mehr passieren, weil Mitch McConnell, der noch bis am 20. Januar um 12 Uhr der Mehrheitsführer ist, schon angekündigt hat, dass er den Senat nicht mehr zusammenrufen wird, um darüber zu verhandeln.
Also ist das ganze Vorhaben hoffnungslos?
Nein, denn das Impeachment kann auch vom nächsten Senat aufgenommen werden. Es hat einen historischen Präzedenzfall gegeben bei einem Kriegsminister in den 1870er Jahren. Und es kann auch weitergeführt werden. Wenn Trump gar nicht mehr im Amt ist, ist es zwar keine Amtsenthebung mehr. Aber es ist eine Verurteilung seiner aufrührerischen Aktivitäten am 6. Januar. Und das ist primär – wie das ganze Verfahren – ja kein juristisches Verfahren, sondern eine politische Katharsis, ein politischer Reinigungsprozess für das politische System der USA.
Das Gespräch führte Claudia Weber.