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Russische Desinformationen – eine unterschätzte Gefahr
Aus 10 vor 10 vom 28.03.2024.
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Informationskrieg im Netz Nato-Berater: «Die russischen Mittel sind hundertfach grösser»

Moskau will mit Desinformationskampagnen Zwietracht im Westen streuen. Europa müsse mehr tun, findet der Sicherheitsexperte.

Täglich prasseln russische Falschnachrichten auf Europa ein: Lügen über Politiker auf den sozialen Medien, Kriegspropaganda, Verschwörungstheorien. Der Kreml nutze Information als Waffe, sagt Jakub Kalensky. Er war von 2015 bis 2018 der EU-Verantwortliche für den Kampf gegen russische Desinformation.

Heute warnt er: Europas Behörden würden zu langsam reagieren. Die Russen seien dem Westen im Informationsraum voraus und bauten ihren Vorsprung aus.

Jakub Kalensky

Experte für russische Desfinformation

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Der gebürtige Tscheche ist leitender Analyst für russische Desinformation am Europäischen Exzellenzzentrum für Hybride Gefahren (Hybrid CoE) in Helsinki. Kalensky war 2015 bis 2018 erster Leiter der EU-Desinformationsbekämpfung für Osteuropa. Dabei lancierte er das Desinformationsmonitoring der EU («EU vs. Desinfo»). Heute berät Kalensky die EU, die Nato und mehrere europäische Regierungen.

SRF News: Befinden wir uns in einem Informationskrieg?

Jakub Kalensky: Russland sagt das explizit. Europa nennt das nicht so.

Wie führt Russland diesen Informationskrieg?

Desinformation beginnt im Kreml und ist pyramidenförmig aufgebaut. Präsident Putin und hohe Minister verdrehen in Ihren Reden systematisch Tatsachen. Die Armee und verschiedene Departemente verbreiten das Narrativ weiter. Zum System gehören auch die Staatsmedien und prorussische Pseudo-Journalisten im In- und Ausland. Troll-Fabriken teilen die Propaganda online.

Frankreichs Kampf gegen russische Desinformation

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Legende: Eine Hauswand mit antisemitischen Sprayereien in Paris im vergangenen Oktober (31.10.23) IMAGO / Le Pictorium

Gemäss Experten tut Frankreich in Europa mitunter am meisten in der Bekämpfung von russischer Desinformation.

Paris hat mit Viginum eine der wenigen staatlichen Analysedienste in Europa geschaffen, die digitale Einflussnahme aufspürt und bekämpft. Die Behörde in Paris entdeckt immer wieder Aktionen russischer Desinformation im Netz.

Vergangenen Herbst etwa tauchten in Paris plötzlich antisemitische Graffitis an Häuserwänden auf. Schnell machten in den sozialen Medien Vorwürfe die Runde, wonach muslimische Täter dafür verantwortlich seien.

Die Sicherheitsdienste beschuldigten Moskau. Die Expertinnen und Experten von Viginium zeichneten nach, wie Fotos systematisch im Internet verbreitet wurden. Das Ziel: Ein kontroverses Thema mit Falschinformationen befeuern. Vor kurzem deckten die Expertinnen und Experten auch prorussische Kriegspropaganda in mehreren Ländern auf.

Die Einheit in Paris hat 30 Agentinnen und Agenten. Und diese seien auch dringend nötig, erklärte die Behörde gegenüber SRF. In der Zentrale spricht man von einer Steigerung von 40 Prozent der Desinformationsangriffe im Vergleich zum Vorjahr.

Was ist das Ziel?

Das Hauptziel ist es, den Westen zu schwächen. Russland bespielt beliebige Themen mit Desinformation, solange diese das Potenzial haben, im Westen Kontroversen zu befördern. In den USA spaltet etwa das Thema Rassismus, in Europa eignet sich oft das Thema Migration. Wie ein böser Doktor, der den Patienten diagnostiziert und gezielt kränker macht.

Wenn russische Panzer in Zürich stehen, reagiert die Schweiz. Bei russischen Lügen nicht.

Die falschen oder tendenziösen Geschichten im Internet oder prorussischen Medien sollen polarisieren, Extremparteien stärken und das Misstrauen in die westlichen Institutionen untergraben. Denn in der aussenpolitischen Doktrin des Kremls gewinnt Russland, wenn der Westen streitet.

Tut Europa genug?

Nein. Die Russen geben mehrere Hunderte Mal mehr aus als wir. In Russland arbeiten Tausende und Abertausende im Propagandaapparat. Fast täglich registriert die EU mittlerweile Falschnachrichten, die den Weg aus Russland in unsere öffentlichen Debatten finden.

Europa macht zwar mehr als früher. Nur müssen die Staaten noch deutlich mehr Geld ausgeben. Denn die Russen bewegen sich schneller als wir.

Mit der Abwehr beschäftigen sich in Europa bloss ein paar Dutzend Experten hier, ein paar Dutzend da. Desinformation ist für Russland kosteneffektiv, weil es unter der Eskalationsschwelle liegt. Wenn russische Panzer in Zürich stehen, reagiert die Schweiz. Bei russischen Lügen nicht.

Warum tut Europa nicht mehr?

Bürokratien reagieren häufig träge auf neue Formen von Gefahren. Oft ist nicht klar, welches Ministerium zuständig ist. Zudem ist die Bekämpfung kostspielig und die Schäden nicht sofort erkennbar. Einzelne Falschinformationen schaden der Demokratie nicht unbedingt sofort – kumuliert aber sehr wohl. Die prorussischen Erzählungen etwa über den Ukraine-Krieg verfangen mit der Zeit im Bewusstsein vieler Menschen.

Was gäbe es zu tun?

Zunächst muss das Monitoring ausgebaut werden. Stellen Sie sich vor, Sie wollen ein Virus bekämpfen, das sich langsam über die Bevölkerung legt, ohne zu wissen, wie viele Leute ihm bereits ausgesetzt waren.

Der Staat muss seine Positionen und Leistungen zudem offensiv erklären, um das Vertrauen in die Institutionen zu stärken. Die Medienkompetenz der Bevölkerung, kritisches Lesen etwa, muss im Bildungswesen gefördert werden.

Blick auf die Zwiebeldächer des Kreml in Moskau
Legende: Die Desinformation in Russland beginnt gemäss Jakub Kalensky ganz oben. (Im Bild: der Kreml in Moskau am 25.03.24) IMAGO / Xinhua

Europa muss Russlands Handlungsfähigkeit aber auch einschränken – etwa durch Sanktionen. Länder in Osteuropa sperren beispielsweise konsequent russische Pseudo-Medien. Europa macht zwar mehr als früher. Nur müssen die Staaten noch deutlich mehr Geld ausgeben. Denn die Russen bewegen sich schneller als wir. Ich fürchte, Russland baut seinen Vorsprung im Informationskrieg aus.

Das Gespräch führte Benedikt Hofer.

10vor10, 26.03.24, 21:50 Uhr ; 

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