Zwei selbstgebastelte Sprengsätze, Chaos, Blut und Tote bei der Zielankunft, eine Grossfahndung, die vier Tage dauerte und weite Teile Bostons lahm legte – es war das schwerste Attentat auf amerikanischem Boden seit dem 11. September 2001.
Auswahl der Geschworenen hat begonnen
Ab heute wird in den USA das letzte Kapitel in diesem Drama geschrieben: Der 21-jährige Dschochar Zarnajew muss sich vor Gericht verantworten. Während sein älterer Bruder Tamerlan im Kugelhagel der Polizei gestorben war, hatte er sich in einem trockengelegten Boot versteckt – und überlebt. Die Staatsanwaltschaft fordert nun die Todesstrafe.
Der Prozess hat heute mit der Geschworenenauswahl aus einer Gruppe von 1200 Kandidaten begonnen. Bestimmt werden müssen 12 Juroren und sechs Ersatzgeschworene. Allein diese Prozedur dürfte wegen der Bedeutung des Falles und der möglichen Todesstrafe für den Angeklagten Wochen dauern. So gilt es, Geschworene zu bestimmen, die nicht aus prinzipiellen Gründen strikt gegen die Todesstrafe sind.
«Die meisten Menschen in Massachusetts sind gegen die Todesstrafe und es werden dort auch keine Todesurteile mehr vollzogen», sagt USA-Korrespondent Beat Soltermann. «Allerdings steht Zarnajew vor einem Bundesgericht und dort gelten die nationalen Regeln.»
Terroristischer Akt
Dschochar Zarnajew habe sich mit dem Anschlag für die Kriege rächen wollen, welche die Amerikaner in Afghanistan und Irak führten, heisst es in der Anklageschrift. Der Anschlag sei deshalb ein terroristischer Akt.
Justizminister Eric Holder hat die Staatsanwaltschaft ausdrücklich ermächtigt, die Todesstrafe zu fordern.
Die Verteidigung argumentiert, das Immigrantenkind aus dem Kaukasus sei isoliert aufgewachsen, habe keinen Anschluss in der US-Gesellschaft gefunden und sei, anders als sein toter Bruder, ein blosser Mitläufer gewesen. Dschochar Zarnajew selber behauptet, er sei nicht schuldig.
Wie allerdings die Verteidigung eine Botschaft des Angeklagten erklären wird, sei offen, sagt Soltermann. Denn Zarnajew schrieb kurz vor seiner Verhaftung: «Die US-Regierung tötet unschuldige Zivilisten. Ich schaffe es nicht, so viel Böses zu sehen, das ungesühnt bleibt. Wir Muslime sind uns einig, wenn man einen verletzt, verletzt man uns alle.»
Erste Niederlage für Verteidigung
Experten sagen, die Beweislast gegen den Angeklagten sei erdrückend, und die Verteidigung musste bereits eine erste Niederlage einstecken: Sie wollte den Prozess nicht in Boston, sondern an einem anderen Ort, sozusagen auf neutralerem Boden, durchführen. Doch der Richter lehnte den Antrag am vergangenen Samstag ab.
Gut möglich, dass Dschochar Zarnajew sich während des Prozesses doch noch für schuldig erklärt – in der Hoffnung, dass die Todesstrafe auf lebenslängliches Zuchthaus ohne Möglichkeit auf Begnadigung umgewandelt wird.
Boston Marathon: Eine Chronologie der Anschläge
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Bild 1 von 26. 15. April 2013: Zwei Sprengsätze explodieren im Zielbereich des Marathons in Boston. Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 26. Panik bricht unter den Läufern, Betreuern und Zuschauern aus. Überall liegen Verletzte, der Rauch der Explosion schwebt noch in der Luft. Retter und Zuschauer eilen zu den Opfern und versuchen zu helfen. Noch ist vieles ungewiss. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 26. An dem ältesten Marathon-Lauf der Welt nehmen rund 23'000 Sportler teil, eine halbe Million Zuschauer säumt die Strassen, als es zu den Explosionen kommt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 4 von 26. Rettungskräfte bringen Verletzte in umliegende Spitäler. Durch die Explosionen wurden zahlreichen Opfern Gliedmassen abgerissen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 5 von 26. Die Teilnehmer versuchen vergebens ihre Bekannten zu erreichen. Denn kurz nach den Explosionen schalten die Sicherheitskräfte vorübergehend das Mobilfunknetz in Boston ab, um mögliche Fernzündungen weiterer Sprengsätze zu verhindern. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 26. Die Sprengsätze haben die Attentäter in Dampfkochtöpfe deponiert und in Rücksäcken auf den Boden zwischen die Menschenmenge gestellt – und dann per Eieruhr ferngezündet. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 26. Die Trauer ist gross: Beim Attentat sterben drei Zuschauer, darunter ein 8-jähriger Junge. Über 260 werden verletzt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 26. 16. April 2013: US-Präsident Barack Obama spricht von einem «Terrorakt». Mehr als 1000 Fahnder sind im Einsatz. Für Hinweise über die Attentäter setzt die Feuerwehr eine Belohnung von 50'000 Dollar aus. Bildquelle: Keystone.
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Bild 9 von 26. Es ist der schwerste Bombenanschlag in den USA seit dem 11. September. Einige Stunden nach dem Attentat beginnen bereits die ersten Ermittlungen vor Ort. Bildquelle: Keystone.
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Bild 10 von 26. Überall in Boston werden die Polizeipräsenz und Sicherheitskontrollen erhöht. Auch in anderen Städten der USA wird die Sicherheitsstufe erhöht – wie hier in Los Angeles. Bildquelle: Reuters.
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Bild 11 von 26. 18. April 2013: Mit einem grossen Trauergottesdienst in der Heiligkreuz-Kathedrale gedenkt Boston der Opfer. Präsident Obama ruft die Amerikaner auf, dem Terror zu trotzen. «Die Bombe kann uns nicht besiegen. Wir machen weiter!». Bildquelle: Keystone.
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Bild 12 von 26. 18. April 2013: Das FBI veröffentlicht erste Fahndungsbilder zweier verdächtiger Personen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 13 von 26. Das FBI ist ihnen dank zahlreichen Fotos und Videos aus der Bevölkerung und von Überwachungskameras auf die Spur gekommen. Das Brüderpaar Tamerlan (links) und Dschochar Zarnajew aus Tschetschenien lebt legal in den USA. Bildquelle: Keystone.
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Bild 14 von 26. Spezialkräfte in Watertown: Bei der Suche nach den Zarnajews soll es sich um den grössten Polizei- und Militäreinsatz seit den Anschlägen des 11. September 2001 gehandelt haben. Bildquelle: Reuters.
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Bild 15 von 26. 18. April 2013: Schochar und Tamerlan Zarnajew schiessen auf der Flucht einen Polizisten auf dem Campus der Eliteuniversität MIT nieder. Der Beamte wird später im Krankenhaus für tot erklärt. Die Brüder fliehen und nehmen eine Geisel. Eine halbe Stunde später lassen sie sie aber wieder frei. Bildquelle: Keystone.
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Bild 16 von 26. 19. April 2014: Polizeibeamte liefern sich eine Verfolgungsjagd mit den Brüdern. Sie erwidern das Feuer der Einsatzkräfte und werfen Sprengsätze. In Watertown, einem ruhigen Wohnort im Westen Bostons, eskaliert die Situation. Bildquelle: Keystone.
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Bild 17 von 26. Tamerlan Zarnajew wird mehrfach getroffen. Dschochar gelingt es, zu fliehen. Als er in dem gestohlenen Auto davon fährt, überrollt er seinen schwer verletzten Bruder. Dieser stirbt später im Spital – an den Folgen der Schussverletzungen. Bildquelle: Keystone.
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Bild 18 von 26. 10'000 Einsatzkräfte suchen mittlerweile nach Dschochar Zarnajew: Die Bewohner von Watertown müssen fast 24 Stunden in ihren Häusern bleiben, mehrere Strassenzüge werden evakuiert. Bildquelle: Reuters.
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Bild 19 von 26. Die Polizei von Boston beginnt damit, von Haus zu Haus zu gehen und den gesamten Ort zu durchsuchen. Bildquelle: Reuters.
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Bild 20 von 26. Das öffentliche Leben ist lahmgelegt: Autos, Busse, U-Bahnen und Taxis, selbst die Fernzüge fahren nicht. Bildquelle: Keystone.
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Bild 21 von 26. Ein Anwohner in Watertown gibt den entscheidenden Hinweis, der zur Verhaftung Dschochars führt. Er bemerkt Blutspuren an seinem Boot im Garten. Bildquelle: Reuters.
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Bild 22 von 26. Der Bombenleger hat sich in Watertown, einem Vorort von Boston, in einem trockengelegten Boot versteckt – wie dieses Bild einer Wärmebildkamera eines Hubschraubers zeigt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 23 von 26. Polizisten nehmen Dschochar fest. Der 19-Jährige lieferte sich noch kurz vor seiner Festnahme ein Feuergefecht mit der Polizei. Er wurde unter anderem an Kehle und Zunge verletzt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 24 von 26. In Watertown, wo Dschochar Zarnajew aufgespürt wurde, ist der Jubel nach der Festnahme gross. Bildquelle: Reuters.
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Bild 25 von 26. 20. April 2012: «An diesem Abend steht unsere Nation in der Schuld der Bewohner von Boston und Massachusetts», sagte Präsident Obama in einer ersten Reaktion. Er dankte den Einsatzkräften und lobte die Koordination der Sicherheitsbehörden. Die grosse Frage sei nun, warum die Brüder, sich gegen dieses Land gewendet haben. Bildquelle: Reuters.
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Bild 26 von 26. Dschochar Zarnajew werden insgesamt 30 Anklagepunkte zur Last gelegt, darunter vierfacher Mord und der Gebrauch einer Massenvernichtungswaffe. Am 10. Juli 2013 steht der mutmassliche Boston-Bomber erstmals vor Gericht. Er erklärte sich bei allen Anklagepunkten für nicht schuldig. Bildquelle: Keystone.