International - «Boston-Bomber» vor Gericht – langwierige Geschworenenauswahl
Beim Anschlag auf der Zielgeraden des Bostoner Marathons kamen vor fast zwei Jahren drei Menschen ums Leben, mehr als 260 Sportler und Zuschauer wurden verletzt. Heute hat der Prozess gegen einen der beiden mutmasslichen Täter begonnen. Ihm droht die Todesstrafe.
04:50 min, aus Echo der Zeit vom 05.01.2015.
Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 50 Sekunden.
Zwei selbstgebastelte Sprengsätze, Chaos, Blut und Tote bei der Zielankunft, eine Grossfahndung, die vier Tage dauerte und weite Teile Bostons lahm legte – es war das schwerste Attentat auf amerikanischem Boden seit dem 11. September 2001.
Auswahl der Geschworenen hat begonnen
Ab heute wird in den USA das letzte Kapitel in diesem Drama geschrieben: Der 21-jährige Dschochar Zarnajew muss sich vor Gericht verantworten. Während sein älterer Bruder Tamerlan im Kugelhagel der Polizei gestorben war, hatte er sich in einem trockengelegten Boot versteckt – und überlebt. Die Staatsanwaltschaft fordert nun die Todesstrafe.
Der Prozess hat heute mit der Geschworenenauswahl aus einer Gruppe von 1200 Kandidaten begonnen. Bestimmt werden müssen 12 Juroren und sechs Ersatzgeschworene. Allein diese Prozedur dürfte wegen der Bedeutung des Falles und der möglichen Todesstrafe für den Angeklagten Wochen dauern. So gilt es, Geschworene zu bestimmen, die nicht aus prinzipiellen Gründen strikt gegen die Todesstrafe sind.
«Die meisten Menschen in Massachusetts sind gegen die Todesstrafe und es werden dort auch keine Todesurteile mehr vollzogen», sagt USA-Korrespondent Beat Soltermann. «Allerdings steht Zarnajew vor einem Bundesgericht und dort gelten die nationalen Regeln.»
Dschochar Zarnajew habe sich mit dem Anschlag für die Kriege rächen wollen, welche die Amerikaner in Afghanistan und Irak führten, heisst es in der Anklageschrift. Der Anschlag sei deshalb ein terroristischer Akt.
Justizminister Eric Holder hat die Staatsanwaltschaft ausdrücklich ermächtigt, die Todesstrafe zu fordern.
Die Verteidigung argumentiert, das Immigrantenkind aus dem Kaukasus sei isoliert aufgewachsen, habe keinen Anschluss in der US-Gesellschaft gefunden und sei, anders als sein toter Bruder, ein blosser Mitläufer gewesen. Dschochar Zarnajew selber behauptet, er sei nicht schuldig.
Wie allerdings die Verteidigung eine Botschaft des Angeklagten erklären wird, sei offen, sagt Soltermann. Denn Zarnajew schrieb kurz vor seiner Verhaftung: «Die US-Regierung tötet unschuldige Zivilisten. Ich schaffe es nicht, so viel Böses zu sehen, das ungesühnt bleibt. Wir Muslime sind uns einig, wenn man einen verletzt, verletzt man uns alle.»
Erste Niederlage für Verteidigung
Experten sagen, die Beweislast gegen den Angeklagten sei erdrückend, und die Verteidigung musste bereits eine erste Niederlage einstecken: Sie wollte den Prozess nicht in Boston, sondern an einem anderen Ort, sozusagen auf neutralerem Boden, durchführen. Doch der Richter lehnte den Antrag am vergangenen Samstag ab.
Gut möglich, dass Dschochar Zarnajew sich während des Prozesses doch noch für schuldig erklärt – in der Hoffnung, dass die Todesstrafe auf lebenslängliches Zuchthaus ohne Möglichkeit auf Begnadigung umgewandelt wird.
Boston Marathon: Eine Chronologie der Anschläge
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15. April 2013: Zwei Sprengsätze explodieren im Zielbereich des Marathons in Boston.
Reuters
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Legende:
Panik bricht unter den Läufern, Betreuern und Zuschauern aus. Überall liegen Verletzte, der Rauch der Explosion schwebt noch in der Luft. Retter und Zuschauer eilen zu den Opfern und versuchen zu helfen. Noch ist vieles ungewiss.
Keystone
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An dem ältesten Marathon-Lauf der Welt nehmen rund 23'000 Sportler teil, eine halbe Million Zuschauer säumt die Strassen, als es zu den Explosionen kommt.
Keystone
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Rettungskräfte bringen Verletzte in umliegende Spitäler. Durch die Explosionen wurden zahlreichen Opfern Gliedmassen abgerissen.
Keystone
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Die Teilnehmer versuchen vergebens ihre Bekannten zu erreichen. Denn kurz nach den Explosionen schalten die Sicherheitskräfte vorübergehend das Mobilfunknetz in Boston ab, um mögliche Fernzündungen weiterer Sprengsätze zu verhindern.
Keystone
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Die Sprengsätze haben die Attentäter in Dampfkochtöpfe deponiert und in Rücksäcken auf den Boden zwischen die Menschenmenge gestellt – und dann per Eieruhr ferngezündet.
Keystone
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Die Trauer ist gross: Beim Attentat sterben drei Zuschauer, darunter ein 8-jähriger Junge. Über 260 werden verletzt.
Keystone
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16. April 2013: US-Präsident Barack Obama spricht von einem «Terrorakt». Mehr als 1000 Fahnder sind im Einsatz. Für Hinweise über die Attentäter setzt die Feuerwehr eine Belohnung von 50'000 Dollar aus.
Keystone
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Es ist der schwerste Bombenanschlag in den USA seit dem 11. September. Einige Stunden nach dem Attentat beginnen bereits die ersten Ermittlungen vor Ort.
Keystone
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Überall in Boston werden die Polizeipräsenz und Sicherheitskontrollen erhöht. Auch in anderen Städten der USA wird die Sicherheitsstufe erhöht – wie hier in Los Angeles.
Reuters
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18. April 2013: Mit einem grossen Trauergottesdienst in der Heiligkreuz-Kathedrale gedenkt Boston der Opfer. Präsident Obama ruft die Amerikaner auf, dem Terror zu trotzen. «Die Bombe kann uns nicht besiegen. Wir machen weiter!»
Keystone
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18. April 2013: Das FBI veröffentlicht erste Fahndungsbilder zweier verdächtiger Personen.
Keystone
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Das FBI ist ihnen dank zahlreichen Fotos und Videos aus der Bevölkerung und von Überwachungskameras auf die Spur gekommen. Das Brüderpaar Tamerlan (links) und Dschochar Zarnajew aus Tschetschenien lebt legal in den USA.
Keystone
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Spezialkräfte in Watertown: Bei der Suche nach den Zarnajews soll es sich um den grössten Polizei- und Militäreinsatz seit den Anschlägen des 11. September 2001 gehandelt haben.
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18. April 2013: Schochar und Tamerlan Zarnajew schiessen auf der Flucht einen Polizisten auf dem Campus der Eliteuniversität MIT nieder. Der Beamte wird später im Krankenhaus für tot erklärt. Die Brüder fliehen und nehmen eine Geisel. Eine halbe Stunde später lassen sie sie aber wieder frei.
Keystone
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19. April 2014: Polizeibeamte liefern sich eine Verfolgungsjagd mit den Brüdern. Sie erwidern das Feuer der Einsatzkräfte und werfen Sprengsätze. In Watertown, einem ruhigen Wohnort im Westen Bostons, eskaliert die Situation.
Keystone
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Tamerlan Zarnajew wird mehrfach getroffen. Dschochar gelingt es, zu fliehen. Als er in dem gestohlenen Auto davon fährt, überrollt er seinen schwer verletzten Bruder. Dieser stirbt später im Spital – an den Folgen der Schussverletzungen.
Keystone
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10'000 Einsatzkräfte suchen mittlerweile nach Dschochar Zarnajew: Die Bewohner von Watertown müssen fast 24 Stunden in ihren Häusern bleiben, mehrere Strassenzüge werden evakuiert.
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Die Polizei von Boston beginnt damit, von Haus zu Haus zu gehen und den gesamten Ort zu durchsuchen.
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Das öffentliche Leben ist lahmgelegt: Autos, Busse, U-Bahnen und Taxis, selbst die Fernzüge fahren nicht.
Keystone
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Ein Anwohner in Watertown gibt den entscheidenden Hinweis, der zur Verhaftung Dschochars führt. Er bemerkt Blutspuren an seinem Boot im Garten.
Reuters
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Der Bombenleger hat sich in Watertown, einem Vorort von Boston, in einem trockengelegten Boot versteckt – wie dieses Bild einer Wärmebildkamera eines Hubschraubers zeigt.
Keystone
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Polizisten nehmen Dschochar fest. Der 19-Jährige lieferte sich noch kurz vor seiner Festnahme ein Feuergefecht mit der Polizei. Er wurde unter anderem an Kehle und Zunge verletzt.
Keystone
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In Watertown, wo Dschochar Zarnajew aufgespürt wurde, ist der Jubel nach der Festnahme gross.
Reuters
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20. April 2012: «An diesem Abend steht unsere Nation in der Schuld der Bewohner von Boston und Massachusetts», sagte Präsident Obama in einer ersten Reaktion. Er dankte den Einsatzkräften und lobte die Koordination der Sicherheitsbehörden. Die grosse Frage sei nun, warum die Brüder, sich gegen dieses Land gewendet haben.
Reuters
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Dschochar Zarnajew werden insgesamt 30 Anklagepunkte zur Last gelegt, darunter vierfacher Mord und der Gebrauch einer Massenvernichtungswaffe. Am 10. Juli 2013 steht der mutmassliche Boston-Bomber erstmals vor Gericht. Er erklärte sich bei allen Anklagepunkten für nicht schuldig.
Keystone
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