Das Forum für öffentliche Sicherheit ist eine respektable Nichtregierungsorganisation, die der brasilianischen Gesellschaft einmal pro Jahr den Spiegel vorhält. Ihre Juristen registrierten im Jahr 2013 insgesamt 53‘000 Morde. Damit beträgt die Mordrate in Brasilien rund das 30-fache von jener in der Schweiz.
Politiker gehen über Statistik hinweg
Sobald das Jahrbuch vorliegt, würden sich die Medien mit den erschreckenden Zahlen auseinandersetzen. «Aber», seufzt Atila Roque von Amnesty International, «das Thema hält sich nur kurz in den Schlagzeilen. Zu kurz, um die Politiker wachzurütteln».
Es ist, als habe sich die Gesellschaft einen Schweigepakt auferlegt. Von zehn Verbrechen mit tödlichem Ausgang wird weniger als eines aufgeklärt. Die meisten Opfer sind junge Männer aus den Vorstädten, arm und dunkelhäutig. «Aber trotz dieser skandalösen Dimensionen schauen wir Brasilianer weg», klagt Roque.
Bei Polizisten sitzt der Colt locker
Der Jahresbericht zur Sicherheitslage deckt auch auf, dass in der Verbrechensbekämpfung durch die Polizei der Grundsatz «erst schiessen, dann fragen» herrscht. In fünf Jahren haben brasilianische Polizisten 11‘200 Menschen erschossen; entweder wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt oder angeblicher Fluchtversuche. In den USA hat die Polizei gleich viele Personen getötet – aber in einem Zeitraum von 30 Jahren.
Anders als mit Selbstjustiz und sozialen Säuberungen lässt sich diese Diskrepanz nicht erklären. Dabei ist die Polizeigewalt nicht einmal mehr so ausgeprägt wie in früheren Jahren. Das hängt damit zusammen, dass etwa die Armensiedlungen in Rio de Janeiro aus dem Würgegriff der Drogenmafia befreit worden sind.
Polizisten werden geschult
Auch gibt es verstärkte Anstrengungen bei der Ausbildung der Polizeibeamten, wie Silvia Backes vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz in Brasilia bestätigt. «Ein französischer Polizei-Instruktor schult die Beamten etwa im Schusswaffen-Gebrauch oder zur Proportionalität des polizeilichen Handelns», erklärt sie. Damit soll den brasilianischen Polizisten beigebracht werden, was zulässig ist und was nicht.
Gute Erfahrungen hat die Militärpolizei von Rio de Janeiro mit einem besonderen Programm gegen die Polizeigewalt gemacht. Es besteht darin, jene Beamten zu prämieren, die am wenigsten Munition verschiessen.
Mehr Morde als weltweit Kriegstote
In einer neuen Kampagne gegen das Morden betont Amnesty International, dass die Erfolge viel zu zögerlich ausfallen. Die Kriminalität schaffe einen Zustand, der schlimmer sei als Krieg, rechnet die brasilianische Amnesty-Sektion vor.
Von 2004 bis 2007 sind auf den zwölf grössten Kriegsschauplätzen der Erde 170‘000 Menschen ums Leben gekommen. Brasilien verzeichnete im selben Zeitraum 192‘000 Todesopfer als Folge von kriminellen Handlungen.