Der Korruptionsskandal belastet Dilma Rousseff, auch wenn die Präsidentin direkt nichts damit zu tun haben scheint. Aber sie war in den fraglichen Jahren Verwaltungsratspräsidentin der halbstaatlichen Petrobras und könnte die kriminellen Machenschaften zumindest toleriert haben.
Zwei von drei Brasilianern finden, Rousseff gehöre abgesetzt. Zur schlechten Stimmung trägt entscheidend eine Rezession bei, die sich vertieft. Allein im Juni wurden 111‘000 Entlassungen registriert, dreimal so viele im ersten Halbjahr.
Wie lange kann sich Rousseff noch halten?
Wie lange noch wabert das politische Tiefdruckgebiet über Brasilien? Für den angesehenen Politologen Demetrio Magnoli aus Sao Paulo gibt es zwei Szenarien: Die Krise kann sich hinziehen bis zum Ende des Mandates der Präsidentin im Jahr 2018. Oder sie entschärft sich eher – sei es durch ein Amtsenthebungsverfahren oder durch einen Rücktritt.
Zurzeit verschärft sich die Krise beinahe täglich; weitgehend handlungsunfähig sieht die Präsidentin zu. Die neuste Wende kann ihr gefährlich werden. Der Parlamentspräsident ist angeklagt, bei der Beschaffung von Bohrschiffen für Petrobras fünf Millionen Dollar Schmiergeld kassiert zu haben.
Dieser gehört zur Regierungskoalition, hat Rousseff aber nun den Krieg erklärt und seine Partei aufgefordert, aus dem Bündnis auszutreten. Der Präsident der Abgeordnetenkammer ist ein mächtiger Mann in Brasilien. Es liegt in seiner Befugnis, ein Amtsenthebungsverfahren zuzulassen oder abzuschmettern.
Magnoli: Neue Dimension der Korruption
Doch wie kann Korruption in einem an Bestechung und Vetternwirtschaft gewöhnten Land eine derart heftige Krise heraufbeschwören? Der entscheidende Faktor sei die neue Dimension der Korruption, erklärt Magnoli: Bislang war die Korruption auf der Stufe der persönlichen Bereicherung angesiedelt. Aber jetzt geht es um eine in den Regierungsparteien beschlossene Korruption, um die Regierungsmehrheit im Parlament zu sichern und die Koalition zusammenzuhalten. Es zeigt sich, dass etwas faul ist im System. Das ist der Unterschied.
Ähnlich wie Italien in den 90er-Jahren erlebt Brasilien seine eigene Operation «Mani pulite». Dass Dilma Rousseff die Justiz gewähren lässt statt sie an die kurze Leine zu nehmen, sorgt für Aufruhr in den eigenen Reihen. Im Kongress torpediert die Arbeiterpartei ständig Rousseffs Sparkurs und macht das Regieren zur Hölle.
Amtsenthebung rückt bedrohlich nahe
Der andere Koalitionspartner, die Partei der demokratischen Bewegung, sondiert mit der sozialdemokratischen Opposition ziemlich offen die Möglichkeiten für ein Absetzungsverfahren gegen Rousseff. Zwei der drei Bedingungen dafür existieren bereits – die gegen die Präsidentin gerichtete öffentliche Meinung und ein juristischer Faktor, der ein politisches Verfahren gegen die Präsidentin rechtfertigt.
Was noch fehlt, ist laut Magnoli ein Konsens in der politischen Elite, Rousseff abzusetzen. Dieser Konsens zeichnet sich immer stärker ab – vor allem, weil die Präsidentin ihren Sparkurs nicht durchsetzen und keine Grundlage für neues Wirtschaftswachstum schaffen kann.
Druck von allen Seiten
So steht Rousseff von drei Seiten unter Druck: Kronzeugen der Justiz sagen aus, mit illegalen Geldern ihren Wahlkampf vom letzten Jahr finanziert zu haben. Das könnte bedeuten, dass die Wahlaufsicht Rousseff das Mandat aberkennt.
Der Rechnungshof weist auf Manipulationen in der Staatsrechnung von 2014 hin, was zu einem politischen Verfahren im Kongress führen könnte. Dass die Parteikollegen und Koalitionspartner die Präsidentin hängen lassen und sie schliesslich ihren Rücktritt erklärt, ist eine weitere Möglichkeit.
Zusammengefasst: Voraussetzungen, dass Brasilien schnell zur politischen Stabilität zurückfindet, gibt es so gut wie keine.