Das EU-Quartier in Brüssel ist ein klassisches Büroquartier mit monumentalen, aber meist charakterlosen Bürogebäuden. «Für Lobbyisten ist das Quartier aber umso interessanter, weil ein Grossteil der Gesetze, die bis auf die lokale Ebene in 28 EU-Mitgliedsstaaten wirkt, hier ihre Wurzeln hat», sagt Pia Eberhardt, von der lobbykritischen Organisation Corporate Europe.
Brüssel attraktiv für Lobbyisten
Offizielle Zahlen, wie viele Lobbyisten in Brüssel arbeiten, gibt es nicht. Die EU kennt kein verbindliches Register, in welchem sich Lobbyisten eintragen müssen. Im Gegensatz etwa zu Washington. Dort haben sich letztes Jahr 12'279 Lobbyisten registriert. Eberhardt schätzt für Brüssel 15‘000 bis 30'000 Lobbyisten.
Im Europaparlament gibt es erschreckend wenig hausinterne Expertise.
Brüssel sei auch deshalb so attraktiv für Lobbyisten, weil die EU ein schwacher Apparat sei, wie Eberhardt sagt: «Wenn man den wissenschaftlichen Dienst hier im Europaparlament mit dem wissenschaftlichen Dienst im nationalen Parlament vergleicht, dann gibt es hier erschreckend wenig hausinterne Expertise.»
Das mache diese Institution sehr anfällig für Informationen und Interessen von aussen. Lobbyisten hätten hier nochmals viel mehr Möglichkeiten, Politik zu beeinflussen.
Alles nahe beieinander
Pia Eberhardt erzählt von der Lebensmittelbranche, welche mehr als eine Milliarde ausgegeben haben soll, um zu verhindern, dass sie ungesunde Lebensmittel deutlich als solche beschriften muss. Die weltweit tätige PR-Agentur Burson Marsteller ist beispielsweise mit mehr als 50 Leuten in Brüssel präsent, um für ihre Kunden, etwa im Waffen- und Gentechbereich, die EU-Politik zu beeinflussen.
Im EU-Quartier ist alles nahe beieinander: «Das symbolisiert die enge Zusammenarbeit der Lobbyindustrie mit den EU-Institutionen», sagt Eberhardt.
Expertengruppen haben grossen Einfluss auf Politik
Ein anderes Beispiel ist der Europäische Bankenverband. Dieser spielt seit der Finanzkrise eine zentrale Rolle. Wenn ein neues Problem auftaucht, setzt die EU-Kommission oftmals zunächst eine Expertengruppe ein, um das Problem zu analysieren und Lösungsvorschläge auszuarbeiten. Expertengruppen spuren damit den weiteren Verlauf einer Diskussion massgeblich vor.
Die Kommissionen laden die Lobbygruppen ein und lassen sich von ihr beraten.
Seit der Finanzkrise habe die Kommission 17 Expertengruppen im Finanzbereich ins Leben gerufen; 15 seien vom Bankenverband und der Finanzbranche dominiert gewesen, sagt Eberhardt. «Es gibt die Einladung in teure Restaurants. Aber es gibt eben auch die fest institutionalisierten Expertengruppen, wo die Kommission selbst die Lobbyindustrie einlädt und sich von ihr beraten lässt.»
Juncker fordert Transparenz
Auch das EU-Parlament stört sich an den Expertengruppen. Es hat der Kommission neulich das Budget für die Spesen der Expertengruppen gestrichen, weil diese oftmals wenig transparent arbeiten.
Genau das hat sich die neue Kommission unter Juncker auf die Fahne geschrieben. So müssen ab heute alle Kommissare ihre Treffen mit Lobbyisten und die Themen der Gespräche öffentlich machen. Ein wichtiger Schritt meint Eberhardt: «Natürlich wird noch nicht alles erfasst, wie etwa Protokolle. Aber für uns, die für proaktive Lobbytransparenz gekämpft haben, ist dies sehr wichtig.»
«Wir schaffen die guten Rahmenbedingungen»
Während Eberhardt von aussen das System zu durchdringen versucht, sitzt Markus Beyrer mitten drin, auch vom Ort her: Er hat sein Büro ganz in der Nähe der EU-Kommission. Beyrer hat als Direktor der europäischen Wirtschaftsdachverbandes Businesseurope aber auch beste Beziehungen zur Kommission.
Wir sorgen für gute Rahmenbedingungen für die Wirtschaft.
Die Bezeichnung Lobbyist gefällt ihm aber nicht wirklich: «Wir stellen unsere Expertise zu Verfügung, um dafür zu sorgen, dass die Rahmenbedingungen so sind, dass die Unternehmen das tun können, was man von ihnen erwartet: Wachstum und Arbeitsplätze schaffen», sagt Beyrer.
Sein Verband hat insbesondere bei Fragen der Aussenwirtschaftspolitik einen grossen Einfluss auf die Kommission. Beispielsweise bei den Verhandlungen der EU mit den USA über ein Freihandelsabkommen. Doch die Kritik, dass solche Kontakte zur Kommission oftmals hinter verschlossenen Türen stattfänden und nicht transparent seien, weist er zurück: «Das entlockt mir immer ein Lächeln.»
«Irgendwann wird es ein Ranking geben»
Sie seien 100 prozentig transparent. Sie veröffentlichten immer ein Communiqué und ein Foto, wenn er einen Kommissar treffe. Und er verweist auf Junckers Transparenz-Offensive, die er zu unterstützen behauptet. Doch scheint er auch Vorbehalte zu haben: «Ich glaube, es ist klar, worauf diese Geschichte hinausläuft. Irgendwann wird irgendwer ein Ranking machen. Für uns ist das aber kein Problem. Wir sind transparent», betont Beyrer.
Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sein Verband und die anderen Wirtschafts-Lobbyisten möglichst ungehinderten Zugang haben sollen zur Kommission. Auch wenn diese Kontakte nun deklariert werden müssen, das EU-Quartier bleibt ein ganz wichtiges Pflaster für Lobbyisten.