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International Brüssel nach dem Brexit: Dreimal tief Luft holen

Zwei Tage lang haben Europas Mächtige das Unaussprechliche beraten: Den Austritt Grossbritanniens aus der EU. Nach der «Gruppentherapie» demonstrieren sie Geschlossenheit – und haben eine klare Botschaft an Rosinenpicker in- und ausserhalb der Union.

Vielleicht liegt es an seiner Unerfahrenheit, vielleicht auch einfach an seiner Offenheit: Als der neue österreichische Kanzler Christian Kern gestern gegen Mitternacht das Sitzungszimmer verliess, berichtete er frank und frei von der Dynamik im Raum: «Das war eine sehr solidarische und verständnisvolle Aussprache. Einer der Kollegen hat von einer ‹grossen Gruppentherapie› gesprochen – vielleicht hat es ein bisschen daran erinnert.»

Die Staats- und Regierungschefs sassen gestern zum letzten Mal mit David Cameron zusammen. Das mussten offensichtlich auch sie erst verarbeiten – und wie sie das taten, Cameron dürfte es gefreut haben.

Oliver Washington

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Oliver Washington ist seit 2003 bei SRF. Ab 2007 war er Mitglied der Inland-Redaktion, seit 2014 ist er EU-Korrespondent in Brüssel. Washington hat Soziologie, Geografie und Wirtschaftsgeschichte studiert.

Wehmütiges und versöhnliches

Der Premierminister von Estland habe erzählt, wie die britische Navy vor 100 Jahren geholfen habe, die Unabhängigkeit zu sichern; der tschechische Premierminister habe berichtet, wie seine Landsleute nach Grossbritannien geflohen seien. Cameron dürfte auch gefreut haben, als wenig später Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor den Medien sogar die persönliche Freundschaft beschwor.

Offensichtlich gehen der Brexit und dieser persönliche Abschied auch den Staats- und Regierungschefs nahe. Aber gibt es da keinen Groll gegenüber Cameron, der fahrlässig sein Land und die EU in eine tiefe Krise geritten hat? «Ich würde es so sagen: Ärger ist keine Kategorie politischen Handelns», meint die deutsche Kanzlerin Angela Merkel – und fährt fort: «Jeder von uns kennt so etwas. Mit professionellem politischen Handeln hat das nichts zu tun. Wir haben Interessen zu vertreten, historische Konsequenzen zu bedenken und uns mit Realitäten auseinanderzusetzen. Das ist, was Politik ausmacht.»

Audio
Die EU zeigt sich geschlossen
aus Echo der Zeit vom 29.06.2016. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 31 Sekunden.

Das Chaos ordnen

Und da steht die EU nun: Sie muss ganz im Sinne Merkels Ordnung ins Chaos bringen. Und das ist den Staats- und Regierungschefs nach der ersten gruppentherapeutischen Phase gar nicht schlecht gelungen: Zum einen sieht es danach aus, dass Grossbritannien die Austrittsverhandlungen bereits im September starten dürfte, also früher als angenommen.

Des Weiteren haben die restlichen 27 Staaten eine ganz klare Botschaft an die Adresse Londons, wenn es bei den Verhandlungen um das künftige Verhältnis geht: «Die Chefs haben unmissverständlich festgehalten, dass wer den Zugang zum Binnenmarkt möchte, auch alle vier Grundfreiheiten akzeptieren muss – inklusive Personenfreizügigkeit», sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Diese Botschaft richtet sich nicht nur an Grossbritannien, sondern auch an alle anderen Nichtmitglieder, welche sich ein Europa à la carte wünschen.

Vertrauensbildende Massnahmen

Und schliesslich haben sich die Chefs auch mit der Zukunft der Union auseinandergesetzt, um das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen. Sie werden dazu eine Phase des Nachdenkens einleiten, haben aber bereits einen ersten zentralen Grundsatzentscheid gefällt: Sie wollten nicht die Verträge ändern, und also die Union nicht vertiefen, sagte Jean-Claude Juncker, sondern bei konkreten Projekten besser zusammenarbeiten – bei Sicherheitsfragen, bei der Flüchtlingskrise und bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.

Kritiker bezeichnen dies als mutlos. Die Chefs denken anders. Sie versuchen Hektik zu vermeiden, denn das würde den anti-europäischen Kräften nur Recht geben, dass das Gebälk der EU morsch ist. An diese Kräfte ist auch die letzte heutige Botschaft gerichtet: Die Chefs der 27 seien fest entschlossen, zusammenzustehen, so Tusk. Fürs Erste sind das wichtige Botschaften. Ob sie diesen aber auch Taten folgen lassen, müssen die Staats- und Regierungschefs erst noch beweisen.

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