In der Türkei herrscht seit den Verhaftungen von rund einem Dutzend Mitarbeitern der regierungskritischen Zeitung «Cumhuriyet» Unbehagen in der 200-köpfigen Redaktion. Die Journalisten leben von Tag zu Tag, niemand weiss, wie es weitergehen soll. Nazar Özcan, eine Redaktorin der Zeitung, denkt trotz der ungewissen Situation morgens nur an eines:
Ich denke nur daran, eine gute Zeitung zu machen. Das ist das Einzige, was ich für mein Land tun kann.
Was bisher geschah
- Seit dem gescheiterten Putsch Mitte Juli geht die türkische Regierung unter Erdogan massiv gegen oppositionelle Medien vor.
- Von «Cumhuriyet» wurden bisher neun Mitarbeiter, der Herausgeber und der Chefredaktor wegen «terroristischer Aktivitäten» inhaftiert. Ihre Berichterstattung habe zudem den Putsch vom Juli begünstigt.
- Im Mai wurde der ehemalige «Cumhuriyet»-Chefredaktor Can Dündar nach der Veröffentlichung eines Artikels über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien zu fünf Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Im Februar wurde er bis zum Berufungsverfahren auf freien Fuss gesetzt. Im Juli verliess Dündar die Türkei und lebt seither in Deutschland.
Regelmässig gibt es im Land Solidaritätsbekundungen für die türkischen Journalisten. Der Rückhalt der Bürger gibt der Redaktion Aufwind, denn «Cumhuriyet» lebt praktisch nur vom Zeitungsverkauf und Spenden. Doch Bülent Özdogan, der Chefredaktor ad interim, spürt die Auswirkung der politischen Ereignisse auf den wirtschaftlichen Druck: «Für unsere Werbekunden wird es immer schwieriger, mit uns zusammen zu arbeiten. Wir erleben in letzter Zeit vermehrt, dass bereits unterschriebene Anzeigen-Verträge zurückgezogen werden.»
Leere Spalten in Gedenken an die verhafteten Kollegen
Wie lange die Redaktion noch unabhängig entscheiden kann, ist ungewiss. Noch bleiben in der Zeitung Spalten leer – im Gedenken an die Kollegen im Gefängnis. Als nächstes fürchten die Journalisten nun staatliche Zwangsverwalter. Auch die Furcht davor, selbst verhaftet zu werden, ist allgegenwärtig. «Natürlich habe ich Angst», sagt Aydin Engin, der als politischer Kommentator bei «Cumhuriyet» arbeitet. «Aber ich will auch ein echter Journalist bleiben.»
Und trotzdem: Die Presse- und Meinungsfreiheit bleibt in der Türkei in höchster Gefahr – die Journalistinnen und Journalisten bewegen sich weiterhin auf sehr dünnem Eis.
Natürlich habe ich Angst. Aber ich will auch ein echter Journalist bleiben.