Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat die grösste Oppositionspartei des Landes ins Visier genommen und Strafanzeige gegen alle Abgeordneten der CHP eingereicht.
Wie die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, reichte Erdogans Anwalt Hüseyin Aydin die Strafanzeige gegen die Abgeordneten der Republikanischen Volkspartei (CHP) bei der Staatsanwaltschaft Ankara ein, darunter auch gegen Parteichef Kemal Kilicdaroglu, und zwar wegen Beleidigung. Die Staatsanwaltschaft muss nun über die Einleitung von Ermittlungen entscheiden.
Die kemalistische sozialdemokratische CHP ist die grösste Oppositionspartei in der Türkei. Sie hatte sich nach dem versuchten Militärputsch vom 15. Juli zunächst mit der türkischen Regierung der AKP von Erdogan solidarisiert. Daraufhin zog der Präsident Strafanzeigen zurück, die er zuvor gegen den CHP-Chef gestellt hatte.
CHP: Autoritärer Staatsstreich
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Die neue Strafanzeige bezieht sich auf Äusserungen während einer am Montag von Kilicdaroglu geleiteten CHP-Versammlung, bei der das repressive Vorgehen der türkischen Behörden gegen Regierungsgegner seit dem Putschversuch als «autoritärer Staatsstreich» verurteilt wurde.
Die Türkei durchlaufe derzeit «einen dunklen und autoritären Staatsstreich, der vom Präsidentenpalast ausgeht», erklärte die CHP. Und weiter: «Die derzeitige politische Situation stellt eine ernste Bedrohung für die Freiheit unseres Volkes und die Zukunft unseres Landes dar.»
Nach einem Bericht der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu bezieht sich Erdogans Anzeige auch auf eine Erklärung der CHP vom Sonntag, in der Erdogan und die Führung der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP als «die grösste Gefahr» für die Demokratie des Landes bezeichnet werden.
Spiess umgedreht
Erdogan wird in der Erklärung der CHP zudem Unterstützung der Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen, der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK vorgeworfen – bisher Dinge, die Erdogan seinen politischen Gegnern unterstellte.
Die türkische Führung macht nämlich die Gülen-Bewegung für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich. Bis zu ihrem Bruch im Jahr 2013 waren Erdogan und Gülen Verbündete.
Seit dem Putschversuch wurden zehntausende Menschen festgenommen oder aus dem Staatsdienst entlassen, weil ihnen eine Unterstützung der Putschisten vorgeworfen wird. Zuletzt lösten die Festnahme von Mitarbeitern der regierungskritischen Zeitung «Cumhuriyet» sowie von Politikern der prokurdischen Oppositionspartei HDP auch in der EU Empörung aus.
EU droht mit Ablehnung der Visafreiheit
Der Kommissionspräsident der EU, Jean-Claude Juncker, äusserte «Bitterkeit» über die Entwicklungen in der Türkei und deutete ein Nein zur Visafreiheit an. «Wenn wir die Visafreiheit morgen ablehnen würden, läge der Fehler nicht bei uns, sondern an den türkischen Behörden», sagte er. Die EU hatte die Aufhebung der Visapflicht an Bedingungen wie eine Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetze geknüpft.
Juncker sagte, er beobachte «mit Bitterkeit, dass die Türkei sich jeden Tag weiter von Europa entfernt». Er forderte die türkische Regierung auf, klarzustellen, «ob sie wirklich ein Mitglied der EU sein möchte oder nicht».
Die Türkei ist seit 2005 EU-Beitrittskandidat, zuletzt wurden in der EU aber Forderungen lauter, die Verhandlungen abzubrechen. Am Mittwoch will die EU-Kommission ihren neuesten Fortschrittsbericht zur Türkei vorgelegen. Laut Medienberichten übt die Behörde darin scharfe Kritik an der Entwicklung in dem Land.