Neue Enthüllungen von Anwälten des Weltfussballverbandes kommen zum Schluss, dass sich die ehemalige Fifa-Führungsriege massiv bereichert hat. Im Zentrum stehen angeblich der frühere Präsident Joseph Blatter, der entlassene Generalsekretär Jérôme Valcke und der kürzlich geschasste Finanzchef Markus Kattner. Die Spitzenfunktionäre sollen sich in den letzten fünf Jahren 80 Millionen Franken zugeschanzt haben.
Dass die Fifa mit ihren jüngsten Eröffnungen eben jetzt eine Flucht nach vorn antritt, hat womöglich einen Grund: Blatters Nachfolger Gianni Infantino steht nach nicht einmal 100 Tagen im Amt schon wegen angeblich unsauberer Geschäftsführung in der Kritik. Gemäss Medienberichten soll er nicht nur das Jahressalär von zwei Millionen Franken als ungenügend betrachtet haben. Er hat angeblich auch die Löschung von Tonaufnahmen von Gesprächen im Zusammenhang mit der Entlassung von Domenico Scala – dem einstigen Fifa-Chefaufseher – veranlasst. Wenn im Bericht der Fifa-Anwälte nun auch der Name Scala erscheint, könnte die Enthüllung der systematischen Bereicherung der Ex-Fifa-Führungscrew womöglich auch eine Abrechnung Infantinos mit dem ehemals leitenden Aufseher zum Ausdruck bringen.
Einschätzungen von Fifa-Experte Jean François Tanda, Wirtschaftsredaktor beim Magazin ECO von Fernsehen SRF.
SRF News: Sind sie überrascht von der jüngsten Entwicklung?
Ja ich bin schon überrascht, aber es ist sicherlich kein Zufall. Denn die von der Fifa heute präsentierten Erkenntnisse liegen schon längere Zeit vor.
Ist es also eher ein Ablenkungsmanöver, um den seit Tagen in der Kritik stehenden Fifa-Präsidenten Gianni Infantino aus der Schlusslinie zu nehmen?
Seit einer Woche oder schon etwas länger tauchen regelmässig interne Beweisstücke in der Öffentlichkeit auf, die sich gegen Infantino richten. Mir scheint es ganz klar, dass heute die Fifa wie auch Infantino selbst davon ablenken wollten.
Sind inhaltlich die heutigen Vorwürfe der Fifa an die Adresse von Blatter, Valcke und Kattner plausibel?
Es ist schon interessant, dass heute Geldströme präsentiert wurden, von denen man nicht wusste und die in der Dimension sehr eindrücklich und überraschend sind. Die Vorwürfe an sich, also dass gegen Fifa-Regeln oder das Gesetz verstossen worden sei, überzeugen mich nicht so sehr. Es war lange Zeit völlig gängige Praxis, dass sich die Kaderleute auch gegenseitig Verträge verlängert und Boni zugeschanzt haben. Und zwar schon bevor Valcke Fifa-Generalsekretär wurde.
Die Fifa sagt, dass sie die Informationen mit der Bundesanwaltschaft und den US-Behörden teile. Heisst «teilen» auch anzeigen?
Die Strafverfahren gegen Blatter und Valcke sind schon länger im Gang. Von daher braucht es keine spezielle Anzeige mehr für weitere Strafermittlungen. Informationen teilen hiess bei der Fifa in der Vergangenheit sehr oft, jeweils das herauszugeben, was sich die Justiz ohnehin besorgen konnte. Ebenso liess man Informationen versiegeln, damit sie nicht sofort verwendet werden konnten. Von daher verdiente die «Kooperation à la Fifa» ihren Namen im eigentlichen Sinn nicht.
Sind nun als «Retourkutsche» neue Vorwürfe gegen Präsident Infantino zu erwarten?
Damit rechne ich. Nach meinen Informationen gibt es einen sehr heftigen Machtkampf innerhalb der Fifa. Auf der einen Seite steht der ehemalige Fifa-Chef-Aufseher Domenico Scala. Auf der anderen Seite das Lager um Infantino. Die beiden Männer mögen sich nicht. Die beiden Lager mögen sich nicht. Mit weiteren Enthüllungen ist also zu rechnen.
Das Gespräch führte Daniel Hofer.