SRF: Max Schmid, blicken wir doch zuerst auf die erste Revolution 2004 zurück. Was war eigentlich damals der Auslöser?
Max Schmid: Von den späten 90er-Jahren bis 2004 ist der zweite Präsident der unabhängigen Ukraine, Leonid Kutschma, immer unpopulärer geworden. Er galt als extrem korrupt. Neben Skandalen und einem schlimmen Wahlkampf wurde ihm Wahlfälschung bei den Präsidentschaftswahlen 2004 vorgeworfen. Dies hat dann die Orangene Revolution ausgelöst.
Die Anführer der Orangenen Revolution waren damals Julia Timoschenko und Viktor Juschtschenko. Wie sind sie zu Revolutionären geworden?
Sie kommen beide aus dem gleichen Milieu, aus einer kommunistischen Partei. Und sie haben sich wirtschaftlich alles unter den Nagel gerissen. Die beiden sind so von Kutschma-Leuten zu Oppositionellen geworden.
Juschtschenko wurde danach Präsident und Timoschenko Premierministerin. Sie versprachen den Menschen Reformen, ein besseres Leben und eine Annäherung an den Westen. Aber das ging schief. Warum?
Korruption und Vetternwirtschaft herrschte vor. Als Timoschenko und Juschtschenko zusammen in der Regierung waren, ging es sehr schnell. Im Vordergrund standen persönliche Eitelkeiten. Die beiden zerfleischten sich gegenseitig mit schlecht durchschaubaren Intrigen und Korruption. Auf beiden Seiten waren die Regierungsleute von Oligarchen abhängig. Juschtschenko hat dann Timoschenko entlassen und Janukowitsch eingestellt.
Die Opposition – völlig zerstritten – enttäuschte die Menschen. Aber dann waren da ja auch noch die Gas-Kriege mit Russland …
Das hat natürlich auch eine Rolle gespielt. Die wirtschaftliche Situation der Ukraine war immer sehr schlecht. Vor der Orangenen Revolution war das Land arm, korrupt und schlecht regiert… und das gilt auch heute noch. Gas war ein sehr wichtiger Faktor und die Ukraine hängt von Russland und seinem Gas ab. Russland hat dann die Gaspreise auf Weltniveau erhöht. Timoschenko und Putin einigten sich daraufhin auf einen Deal. Der wurde Timoschenko aber zum Verhängnis und sie landete im Gefängnis.
All dies ermöglichte das Comeback für Viktor Janukowitsch. Er gewann die Präsidentschaftswahlen 2010. Wieso ist er so schnell wieder in Ungnade gefallen?
Janukowitsch hat viel Machtinstinkt und hat ein autoritäres Regime errichtet. In den Orangenen Jahren war die Ukraine viel liberaler. Doch er brachte Justiz, Polizei, Wirtschaft und Politik in die Hände seiner Familie und in seine Gewalt. Die Ukraine näherte sich immer stärker Russland an, gleichzeitig liefen Gespräche mit der EU. Unter dem Druck Russlands wollte Janukowitsch dann nicht mehr mit der EU verhandeln. Dies war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.
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Auf Seiten der Opposition drängen sich nun altbekannte Gesichter in den Vordergrund. Julia Timoschenko will im Mai für das Präsidentenamt kandidieren. Hat sie Chancen?
Sie denkt sicher, sie hat Chancen. Sie will das unbedingt und ist sehr machtbewusst. Als ehemalige Ministerpräsidentin bringt sie Erfahrung mit, in einer Situation, in der sich die Leute eine gewisse Autorität erhoffen. Aber die Leute sind sehr skeptisch.
Ein Freund von mir hat sogar grosse Angst, dass Timoschenko wieder an die Macht kommt. Die Aktivisten haben sie nicht ausgepfiffen, sagen aber, «wir brauchen andere Kräfte». Es müssen jetzt unbedingt neue Gesichter in den Vordergrund treten, die nicht belastet sind mit der Vergangenheit.
Was ist eigentlich mit Vitali Klitschko? Er galt ja lange Zeit als der neue Kopf und Hoffnungsträger dieser neuen Revolution?
Ich habe ein sehr gutes Bild von ihm. Er hatte damals 2004 junge Leute um sich, und hat mit ihnen eine junge prowestliche und demokratische Partei aufgebaut. Er müsste eine überzeugende Figur sein. Er gehört sicher nicht zur alten Garde.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.