Ein blau-weisser Fischkutter ist seit knapp sechs Wochen im Mittelmeer unterwegs. Aber er wirft keine Netze aus. Die MS Sea Watch ist ein privates deutsches Hilfsschiff – unterwegs vor der libyschen Küste, um Bootsflüchtlinge zu retten.
Die jeweils achtköpfige Crew aus Ärzten, Mechanikern und Journalisten hat in dieser Zeit erste Erfahrungen sammeln können. Als ehrenamtlicher Kapitän war Ingo Werth mit dabei. Gegenüber Radio SRF gibt er Auskunft darüber, wie die Hilfsaktion angelaufen ist.
Radio SRF: Ingo Werth, wie ist es Ihnen und Ihrer Crew bei Ihrem ersten Einsatz ergangen?
Ingo Werth: Dieser Einsatz hat die ganze Crew komplett gefordert. Acht Stunden am Tag Wache, dann parallel dazu die Einsätze, die körperlich anstrengend sind und die Crew mental belastet haben. Und mich natürlich auch. Ich selbst habe zwar keine festgelegte Wache. Aber als verantwortlicher Schiffsführer bin ich schon auch 20 Stunden auf den Beinen.
Wie muss man sich das vorstellen? Sind Sie da einfach einmal in See gestochen oder nur auf Hinweise hin ausgefahren?
Wir sind in Lampedusa gestartet. Von Lampedusa aus sind es etwa 130 Seemeilen bis zu den libyschen Hoheitsgewässern. Sodann haben wir insgesamt sechs Boote mit Flüchtlingen gekreuzt.
Was geschieht konkret, wenn so ein Boot auftaucht?
Wir erhalten einen Anruf vom MRCC Rom, das ist die Rettungseinsatzzentrale in Rom. Sie informiert uns, dass sie einen «distress call» – einen Notruf – bekommen habe. Dann gibt sie uns die Koordinaten und die ungefähre Belegung an und schickt uns zum Boot. Danach wird bei uns an Deck Wache gehalten. Oben im Ausguck stehen ein oder zwei Leute und beobachten mit dem Feldstecher das Meer.
Was heisst es, sich um ein solches Boot zu kümmern?
Wenn wir das Boot selbst entdecken, dann ist es zwei, drei Seemeilen entfernt. Wir nehmen dann mit dem Mutterschiff, der Sea Watch, Kurs auf dieses Boot auf, um wesentliche Aspekte feststellen zu können: Haben die Menschen Schwimmwesten an? 95 Prozent der Menschen haben nämlich keine an. Wie voll ist das Boot ungefähr? Ist das Boot noch intakt? Dann beladen wir das Schnellboot gleich mit hundert Westen und einem Arzt, der der Einsatzleiter des Schnellboots ist, einem Fahrer und einem Funker.
In welchem Zustand waren die Schiffe, als Sie sie aufgegriffen haben?
Man spricht immer von Schiffen. Es sind Gummiboote, die aus China kommen. Alle vom gleichen Baustil und von einfachster Bauart. Sie sind zehn Meter lang und etwa 2,50 Meter breit, wobei das die Aussenmasse sind. Innen drin sind die Boote etwa 1,60 Meter Mal neun Meter klein. Zwei von diesen Booten hatten akuten Wassereinbruch – über den Spiegel am Heck, wo der Motor befestigt ist. Ein anderes Boot hat Luft verloren, ein viertes war vollends überladen. Da waren 121 Menschen auf einer Fläche von etwa 13 Quadratmetern. Sie sind gestanden, weil zum Sitzen zu wenig Platz vorhanden war.
Sie leisten dann erste Hilfe. Wie geht es den Menschen?
In einem Boot hatten die Menschen ganz viel Angst, dass wir Libyer seien. Sie haben Ausweise verlangt. Und sie haben gesagt, wenn wir Libyer seien, würden sie lieber auf dem Meer sterben, als nach Libyen zurückgebracht zu werden. Den Menschen geht es in der Regel schlecht. In einem Boot waren viele Verletzte, einer mit Einblutungen in den Unterbauch. Wir haben die Kinder an Bord genommen und die Mütter dazu. Ansonsten haben wir die Menschen auf Rettungsinseln gebracht, wenn das Boot akut vom Sinken bedroht war. Insgesamt sechs Stück davon haben wir eingesetzt. Wenn das Boot dann allerdings leer ist, müssen wir zurückkehren nach Lampedusa, um dort neue Inseln aufzunehmen. Eben das haben wir jetzt am letzten Mittwoch auch gemacht.
Sie koordinieren die Rettung. Das heisst, sie stehen in engem Kontakt mit den italienischen Behörden. Wie reagieren die eigentlich auf Sie?
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Die Coast Guard hat uns drei Mal angefahren und uns Flüchtlinge abgenommen. Sie kennt uns inzwischen und reagiert sehr positiv. Wir sprechen aber hier nur von der Coast Guard. In den zehn Tagen haben wir nicht ein einziges «Triton»-Schiff dort gesehen. Die liegen in Sizilien im Hafen und fahren gelegentlich auf Anforderung los, um von anderen Schiffen Flüchtlinge zu übernehmen. Aber Rettungseinsätze vor der Küste haben wir keine gesehen.
Was war das Schwierigste für Sie?
Das Schwierigste war wohl, vertrauensvoll mit den Flüchtlingen in Kontakt zu kommen und ihnen ein Gefühl von Sicherheit zu geben – das Gefühl gerettet worden zu sein und nicht etwa wieder nach Libyen transportiert zu werden. Weiter war es schwierig, die Menschen ruhig zu halten. Wir haben mit ihnen teilweise fünf, sechs Stunden auf Rettungsinseln verbracht, um auf zivile Schiffe oder Behördenschiffe zu warten, die dann die Menschen an Bord genommen haben.
Das Gespräch führte Simone Fatzer.