SRF: Eine Jury, bestehend aus neun Weissen und drei Schwarzen, hat entschieden, dass keine Anklage gegen den Polizisten erhoben wird, der geschossen hat. Wie fair ist das Verfahren verlaufen?
Joyce Mushaben: Das Verfahren als solches ist fair abgelaufen. Drei schwarze Jury-Mitglieder entsprichen ungefähr dem schwarzen Bevölkerungsanteil. Ich habe am Verfahren nichts zu beanstanden. Allerdings wurde dieses – wie in der Verfassung festgeschrieben – geheim abgehalten. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass irgendwelche Spielregeln verletzt worden sind. Denn alle wussten, wie sensibel diese Entscheidung war.
Der Bundesstaat Missouri gilt als besonders rassistisch. Woran liegt das?
Rassistisch ist ein bisschen hart ausgedrückt. Das Problem liegt am Parlament. Dort sitzen Republikaner im übelsten Sinne. Sie haben Angst vor den Grossstädten und vertreten vor allem die Landbevölkerung und die Waffenlobby. Sie können sich kaum vorstellen, welche Probleme die Grossstädte haben. Hier fängt es an: Wenn die Leute nicht so einfachen Zugang zu Waffen hätten, dann bräuchte die Polizei auch nicht so grosse Angst vor Verdächtigen zu haben.
Offenbar gibt es in St. Louis eine klare Trennung zwischen schwarzen und weissen Bewohnern. Wieso wird das Polizeikorps nicht entsprechend zusammengestellt?
Wenn sich keine jungen schwarzen Leute bei der Polizei bewerben, können wir auch keine rekrutieren. Das andere Problem ist: Die Polizisten fahren nur noch in ihren Autos herum, zu Fuss sind sie kaum noch unterwegs. So kommt es kaum noch zu Begegnungen zwischen Einwohnern und Polizisten, bei denen man sich kennenlernen kann. Das ist ein grosses Problem.
Was kann die Probleme in Missouri längerfristig lösen?
Ein grosses Problem ist das Schulsystem und wie wir die Schulen in den USA finanzieren. Dafür sind die meisten Gemeinden auf die örtlichen Grundsteuern angewiesen. Wenn man in einer Nachbarschaft wohnt, wo die weniger Privilegierten in grossen Mietshäusern untergebracht sind, fehlen die Grundsteuern. Je schlechter die Nachbarschaft, desto schlechter also die Schule. Demgegenüber leben die Wohlhabenden in den weissen Vororten in eigenen Häusern und bezahlen entsprechend Grundsteuern. Dort sind die Schulen auch wesentlich besser. Wir brauchen eine faire Verteilung der Finanzen innerhalb eines Bundesstaates.
Seit sechs Jahren regiert nun Barack Obama als erster afroamerikanischer Präsident. Hat das die Situation der Schwarzen gar nicht verbessert?
Ich kann ihnen dazu eine Geschichte erzählen: Bei der ersten Wahl Obamas habe ich viele meiner Studenten dazu bringen können, Obama zu wählen. Sie gingen mit Begeisterung zu ihrer ersten Wahl überhaupt. Vier Jahre später stand ich vor meiner Klasse und forderte die Studenten erneut dazu auf, wählen zu gehen. Da stand eine Studentin auf und sagte: ‹Ich habe das letzte Mal gewählt und es ist ja nichts passiert.› Ich entgegnete ihr: ‹Wir haben zum ersten Mal überhaupt einen halbschwarzen Präsidenten, der hat eine Frau, die direkt von Sklaven abstammt. Und ihr glaubt, es habe sich nichts geändert in diesem Land?› Das ist die Generation, die alles, und das subito, erwartet. Wenn es dafür nicht ein App gibt, sind sie nicht bereit, langwierige, politische Prozesse mitzumachen. Das macht mir ein wenig Angst.
Das Interview führte Simone Fatzer.