Anfang der Woche skizzierte der neu berufene Brexit-Minister David Davis auf einem konservativen Blog, wie er sich das Verhandlungsresultat mit der EU und die britische Wirtschaftspolitik vorstellt. Der Tenor: Alles halb so schlimm, Grossbritannien wird nach dem Brexit wirtschaftlich besser dastehen als je zuvor.
Das Land müsse nur bilaterale Handelsverträge mit wichtigen Märkten ausserhalb der EU abschliessen, was «innert 12 bis 24 Monaten» zu machen sei. Auch sollen die Steuern gesenkt werden, um für Firmen attraktiver zu werden. Mit einem EU-Austritt würden zudem vielerlei Regulierungen wegfallen, die die wirtschaftliche Entwicklung nur schwächen würden.
Davis ist überzeugt, dass Grossbritannien auch weiterhin freien Zugang zum europäischen Binnenmarkt haben wird – auch wenn es die Personenfreizügigkeit abschafft: «Wenn die europäischen Nationen begreifen, dass wir bei der Kontrolle unserer Grenzen keine Zugeständnisse machen, werden sie mit uns verhandeln wollen – aus eigenem Interesse.» Anfang nächsten Jahres – nach Gesprächen und Verhandlungen mit wichtigen Anspruchsgruppen innerhalb des Landes – solle Grossbritannien Artikel 50 des Lissabonner Vertrages aktivieren und damit die Austrittsverhandlungen in Gang setzen.
Für die EU unannehmbar
Kann Davis' Marschrichtung Erfolg haben? «Er verspricht den Briten, dass sie alles, was an der EU gut ist, weiter beibehalten können», erklärt Anthony Glees, Professor für Politologie an der Universität Birmingham. Gleichzeitig solle die Immigration gestoppt werden, das wichtigste Anliegen der Brexit-Befürworter. «Das werden Merkel und Hollande nicht annehmen können.» Ein Binnenmarkt mit 400 Millionen Konsumenten brauche Regeln. «Und wenn für Grossbritannien eine Ausnahme gemacht wird, werden viele andere Staaten dem Beispiel folgen wollen.»
Auch in anderen Belangen seien Davis' Pläne «nicht realistisch», so Glees. 80 Prozent der britischen Wirtschaft basierten auf Dienstleistungen, die direkt oder indirekt mit dem europäischen Binnenmarkt zusammenhingen. Selbst die Industrie sei von einem freien Zugang abhängig. «Es ist völlig unverständlich, wie Davis das nun mit Handelsverträgen mit Ländern wie den USA, Indien oder China ersetzen will.»
Übernimmt sich der neue Brexit-Minister also noch bevor die Verhandlungen überhaupt beginnen – oder stellt er schlicht Maximalforderungen, die dann zurechtgestutzt werden? «Davis ist ein Ideologe. Passt die Realität nicht zur Ideologie, wird die Ideologie zur Realität gemacht», erklärt Glees. Zudem sei es in der britischen Öffentlichkeit gerne gesehen, wenn sich eine politische Figur gegen Frankreich und Deutschland zur Wehr setzt.
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«Davis setzt sich ein für weniger Einmischung des Staates in allen Belangen, nicht nur in Bezug auf die EU.» So habe er zum Beispiel an vorderster Front gegen neue Geheimdienstgesetze gekämpft – und damit weder zum ersten noch zum letzten Mal auch gegen die nun amtierende Premierministerin Theresa May. Und er sei sehr ehrgeizig: «Davis wollte selber schon Premier werden», so Politologe Glees.
Ein Zeichen der Schwäche Theresa Mays?
Weshalb also macht May ihren wiederholten Widersacher nun zum wichtigsten Verhandler mit der EU? Glees sieht den Grund vor allem in der Zerrissenheit der Tories selbst: «Die Briten haben mit dem Brexit nicht für ihre wirtschaftlichen Interessen gestimmt, sondern gegen die Immigration.»
In der Tory-Partei habe grosse Angst geherrscht, dass die Einwanderungsfrage so beherrschend würde, dass «der nächste Premier Ukip-Leader Nigel Farage» heisst. Nun, da Theresa May klar gemacht habe, dass der Brexit unumstösslich ist, spiele die Ukip keine Rolle mehr.
Die Ernennung von Davis könne nun ebenso als «Zeichen ihrer Stärke als Premierministerin, wie auch ihrer Schwäche» gedeutet werden, erklärt Politologe Glees: Stärke, weil May Brexit-Befürworter wie Davis und Boris Johnson in die Verantwortung nehme – «und sie feuern kann, wenn sie keinen Erfolg haben».
Schwäche, weil die Befürworter einer moderaten Politik gegenüber der EU in der Partei offenbar keine breite Basis mehr haben und sie auf den Einbezug starker Figuren aus dem Brexit-Lager angewiesen ist. «Persönlich glaube ich eher an Letzteres», sagt Glees: «Es ist gut möglich, dass sich Theresa May nicht lange als Premierministerin halten kann. Kommt es zu einem Machtkampf, dann könnte der neue Premierminister David Davis heissen.»