Der Machtkampf zwischen Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und Staatschef Recep Tayyip Erdogan ist offenbar beendet. Ersterer wolle sich beim Sonderparteitag im Mai nicht mehr als Vorsitzender der AKP zur Wahl stellen. Laut den Statuten der Partei müsste er dann auch als Premierminister zurücktreten.
Für SRF-Korrespondentin Ruth Bossart ist klar, «dass das politische Klima im Land damit noch autoritärer wird». Insofern habe sich Präsident Erdogan einige Schritte seinem Traum angenähert, ein Präsidialsystem einzurichten.
Dafür brauche er eine Verfassungsänderung, was wiederum eine Zweidrittelmehrheit im Parlament bedinge. «Die hat er noch nicht – aber möglicherweise sollen nun durch vorgezogene Neuwahlen die Kräfteverhältnisse im Parlament geändert werden», so Bossart.
Um ein Verfassungsreferendum über das Präsidialsystem abzuhalten, benötigt die AKP eine 60-Prozent-Mehrheit im Parlament. Dazu fehlen der Partei zurzeit 13 Abgeordnetensitze.
Im Clinch wegen Verfassungsänderung
Erst vergangene Woche hatte die Führung der AKP Davutoglus Befugnisse eingeschränkt, was Kolumnisten und Oppositionspolitiker als Schlag gegen den Regierungschef und Parteivorsitzenden werteten. Davutoglu hatte beide Posten von Erdogan übernommen, nachdem dieser im August 2014 vom Volk zum Staatspräsidenten gewählt worden war.
Erdogan-Anhänger verdächtigen Davutoglu, die Macht des Präsidenten untergraben zu wollen. Die beiden Spitzenpolitiker liegen laut Medienberichten unter anderem wegen einer von Erdogan angestrebten Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems im Clinch. Die Änderung würde Erdogan als Staatsoberhaupt mehr Macht verleihen.
Als mögliche Nachfolger Davutoglus werden nach einem Bericht der Zeitung «Cumhuriyet» Verkehrsminister Binali Yildirim und Erdogans Schwiegersohn – Energieminister Berat Albayrak – gehandelt. Beide gelten als absolut loyal gegenüber Erdogan.
Neuer Ministerpräsident wird Erdogan noch näher stehen
Inwiefern sich mit dem Rücktritt Davutoglus auch das Verhältnis zur EU ändern wird, darüber sind die Experten noch uneins. Für SRF-Korrespondentin Ruth Bossart ist allerdings klar, dass sich der Druck auf Europa erhöhen werde.
«Nun kommt eine neue Person, die Erdogan näher steht.» Es sei deshalb davon auszugehen, dass dessen Wünsche nach visafreier Einreise seiner Landsleute in den Schengen-Raum auch weiterhin höchste Priorität haben werden. Ob es dem neuen Ministerpräsidenten gelingen werde, ähnlich wie Davutoglu ein Vertrauensverhältnis zu Brüssel aufzubauen, bleibe abzuwarten, so Bossart.