Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas, wählt – und das zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt: Die Gewalt der Terrorsekte Boko Haram hat in den letzten Wochen und Monaten ihren blutigen Zenit erreicht. Tausende starben, Hunderttausende sind auf der Flucht. Die Sicherheitslage ist entsprechend angespannt, zusätzlich zum ohnehin fragilen sozialen Gefüge im westafrikanischen Land.
Im christlich dominierten Süden konzentriert sich die politische und wirtschaftliche Macht des Landes, die Ölmilliarden haben die Metropole Lagos zum Finanzzentrum Afrikas verwandelt. Der Rest Nigerias blieb vom rasanten Wirtschaftswachstum weitgehend ausgeschlossen. Vor allem im muslimisch geprägten Norden ist Armut weit verbreitet, eine wohlhabende Mittelschicht, wie sie sich im Süden ausgebildet hat, fehlt. Hier verbreitet die Boko Haram ihren Terror.
Die Bevölkerung will wählen
Macht eine Wahl unter solch prekären Umständen überhaupt Sinn? Durchaus, denn der Urnengang entspreche dem Willen der Bürgerinnen und Bürger Nigerias, führt Patrik Wülser, Afrika-Korrespondent von SRF, aus. «Aber es ist nicht von der Hand zu weisen: Die Angst ist da.» Selbst aufgeklärte Menschen würden jeden Morgen beten, dass die Wahlen nicht in Chaos und Gewalt endeten.
Denn die Erinnerung an die letzten Präsidentschaftswahlen ist weiter präsent in den Köpfen der Nigerianer. Damals setzte sich der aktuelle Amtsinhaber Goodluck Jonathan, ein Christ aus dem Süden, gegen seinen muslimischen Gegenkandidaten aus dem Norden durch. Die traurige Bilanz des damaligen Urnengangs: Hunderte Tote, zehntausende Vertriebene. Wie auch schon 2007.
Langjährige Beobachter rechnen mit einigen tausend Toten – aber die Menschen wollen trotzdem wählen.
Zurzeit sei die Lage im Land noch weit angespannter als damals, so Wülser: «Langjährige Beobachter rechnen mit einigen tausend Toten – aber die Menschen wollen trotzdem wählen.» Sie wollten sich ihr Recht auf demokratische Mitsprache nicht nehmen lassen und dazu beitragen, dass sich die Dinge zum Besseren entwickelten.
Westlicher Druck und fragwürdige Legitimität
Gleichzeitig gebe es einen grossen politischen Druck, vorab durch den Westen, die Wahlen durchzuführen, so Wülser: «Vor zehn Tagen war etwa US-Aussenminister John Kerry im Land und forderte vom Präsidenten demokratische Wahlen unter Einhaltung der Verfassung ein.»
Gleichzeitig gebe es aber auch gegenteilige Stimmen aus den nördlichen Bundesstaaten, in denen Ausnahmezustand, faktisch sogar Bürgerkrieg, herrsche: «In den drei Gebieten, in denen Boko Haram die Macht inne hat, sind die Bürgerinnen und Bürger quasi ausgeschlossen von der Wahl.»
Die Legitimität der Wahl sei denn auch fraglich – auch wenn der Druck spürbar sei, endlich etwas im Land zu verändern.