Beleuchtet man das Land Nigeria, fallen gleich mehrere Superlative ins Auge:
- Die grösste Volkswirtschaft Afrikas: Nach Angaben des National Bureau of Statistics (NBS) übertraf das Bruttoinlandprodukt 2013 gar dasjenige von Südafrika. Zentrale Treibkraft ist die Ölindustrie.
- Der grösste Ölproduzent Afrikas: Weltweit betrachtet ist Nigeria der achtgrösste Erdölproduzent.
- Das bevölkerungsreichste Land Afrikas: Nigeria zählt rund 170 Millionen Einwohner. Jährlich wächst die Bevölkerung um über drei Millionen Menschen, und Millionen junger Menschen drängen auf den Arbeitsmarkt. Neue Jobs aber entstehen kaum.
- Der Nigerianer Aliko Dangote ist der reichste Mann Afrikas: Der Selfmade-Man verdiente mit Zement ein Vermögen. Das US-Magazin «Forbes» schätzt sein Vermögen auf 22 Milliarden Dollar.
Nigeria gilt als Afrikas wirtschaftlicher Hoffnungsträger. Doch betrachtet man die Lebenserwartung, die Kindersterblichkeit oder das Tagesbudget, schneidet das Land schlecht ab. Über die Hälfte der Nigerianer und Nigerianerinnen lebt unter dem Existenzminimum. Ihnen steht pro Tag nur rund ein US-Dollar zur Verfügung.
Der wirtschaftliche Aufschwung findet nur im Süden des Landes und in der zentral gelegenen Hauptstadt Abuja statt. Während der von Christen (landesweit 49 %) dominierte Süden also boomt, ist der mehrheitlich von Muslimen (45 %) bewohnte Norden ärmlich.
Analphabetismus statt «westlicher» Bildung
Regiert wird das Land seit 2010 von dem christlichen Präsidenten Goodluck Jonathan. Und obwohl die Verfassung zwar eine strikte Trennung von Staat und Religion vorschreibt, wird in zwölf Bundesstaaten im Norden des Landes nach der Scharia Recht gesprochen. Propagiert wird die islamische Rechtsordung mitunter von der islamistischen Terrorsekte Boko Haram, die das Land seit geraumer Zeit mit Terror überzieht.
Die Gruppierung, deren Namen übersetzt «Bildung ist Sünde» heisst, stemmt sich mit allen Mitteln gegen eine «Verwestlichung» des Landes und kämpft für ein islamistisches Kalifat. Dabei resultiert die tiefe Armut nicht etwa aus einem Übermass an Bildung: Ein Drittel der nigerianischen Kinder geht nicht zur Schule, die meisten davon im Norden des Landes. Bei den Frauen beträgt die Analphabetenquote 50 Prozent.
Kinder als Selbstmordattentäter
Boko Haram operiert im Spannungsfeld zwischen Süden und Norden, Christentum und Islam, Reichtum und Armut. Letzteres verschaffte den Terroristen von Boko Haram zunächst einfach neue Rekruten. Je mehr sich ihr Terror jedoch gegen einfache Zivilisten richtete, desto mehr musste sie auf die Zwangsrekrutierung entführter Jugendlicher zurückgreifen.
Kindesentführungen, Bombenanschläge und Selbstmordattentate – sie gehen zumeist auf das Konto von Boko Haram und sind in Nigeria nichts Neues. Neu ist, dass die Gewalt häufiger und grausamer wird. Meldungen, wonach bei den jüngsten Anschlägen vermehrt Kinder Selbstmordattentate begingen – nach unbestätigten Berichten zuletzt offenbar ein 10-jähriges Mädchen – erschüttern die Gesellschaft.
Die Attentate zielen längst nicht mehr überwiegend auf Christen ab, sondern auch auf Muslime – denn wer sich in den säkularen Staat eingliedert, gilt als Verräter. Bei den chaotischen Zuständen im Land scheint die Regierung heillos überfordert.