SRF News: Das war bereits der dritte Angriff der irakischen Armee auf Ramadi seit die Stadt im Mai von der Terrormiliz IS eingenommen wurde. Warum hat die Rückeroberung dieses Mal offenbar geklappt?
Birgit Svensson: Weil das irakische Militär seine Strategie geändert hat. Bei den zwei vorherigen Versuchen griff das Militär blitzartig an und hat dann einen Stellungskrieg geführt. Das war ziemlich schwierig, weil der IS pausenlos angegriffen hat, indem seine Kämpfer etwa Mörsergranaten geworfen und Minen gelegt haben. Jetzt hat sich das irakische Militär Millimeter für Millimeter an Ramadi herangetastet. Diese Strategie scheint mehr zum Erfolg zu führen als die anderen vorher.
Für die irakische Armee ist die Rückeroberung Ramadis ein beachtlicher Erfolg, nachdem verschiedene Städte im vergangenen Jahr dem IS praktisch kampflos überlassen worden sind. Was ist der Grund dafür, dass die Koordination offenbar verbessert wurde?
Die irakische Armee hat militärisches Training aus der ganzen Welt erhalten. Auch die Amerikaner haben in der Provinz Anbar gezielt sunnitische Stammeskämpfer ausgebildet. Die Schiitenmilizen waren in den letzten Wochen wegen Plünderungen oder Malträtierungen der Bevölkerung in den Schlagzeilen. Doch nun hat die irakische Armee zusammen mit den sunnitischen Stammeskämpfern und den Amerikanern dort das Zepter übernommen. Das scheint koordinierter abzulaufen und zum Erfolg zu führen.
Wie hat man es geschafft, die sunnitischen Stammeskämpfer im Kampf gegen den IS an Bord zu holen?
Man hatte sie schon mal an Bord. Die Amerikaner hatten 2007 mit dem damaligen General Petraeus eine Allianz gegen Al-Kaida gegründet. Die war sehr erfolgreich und verjagte Al-Kaida. Als die Amerikaner 2011 abgezogen sind, haben sie dem damaligen irakischen Premierminister Nuri al- Maliki geraten, dass er die an Bord geholten sunnitischen Kämpfer bezahlen und sie weiterhin als Sicherheitskräfte in Anbar behalten soll. Das hat er allerdings nicht getan. Er hat stattdessen die Löhne nicht bezahlt und Schiiten in hohe Positionen gesetzt. Das gab unglaubliche Spannungen zwischen den beiden Religionsgruppen, was dann letztendlich zum Erfolg des IS führte.
Die Amerikaner haben den Ruf, dass sie zumindest eine Balance zwischen den Sunniten und Schiiten herstellen wollen.
Wie schafft man es, das Vertrauen dieser Sunniten in der Region zurückzugewinnen?
Die Amerikaner haben den Ruf, dass sie zumindest eine Balance zwischen Sunniten und Schiiten herstellen wollen. Wenn es jemand schafft, in Anbar als Vermittler aufzutreten, dann sind es die Amerikaner, denn sie geniessen das Vertrauen. Ganz entscheidend für den jetzigen Erfolg war, dass die Amerikaner gesagt haben, dass die schiitischen Milizen weg müssen. Das war die Bedingung der Amerikaner, damit sie eingreifen. In den letzten Wochen haben sie auch massiv eingegriffen und flogen täglich Angriffe – nicht nur auf Ramadi, sondern auch auf Falludscha und andere Städte in der Provinz Anbar. Die Amerikaner haben auch gesagt, dass sie nur zusammen mit der irakischen Armee und den sunnitschen Stämmen eingreifen.
Welche Rolle spielen denn die schiitischen Milizen?
Eine sehr grosse. Iraks Regierungschef Haidar al-Abadi Abadi muss sich auf sie stützen. So haben sie etwa Tikrit und die Erdölraffinerie in Baidschi zurückerobert. Die Raffinerie war Schauplatz eines monatelangen erbitterten Kampfes, bis die schiitischen Milizen sie zurückerobert haben. Ohne diese Miliz ist der Kampf gegen den IS nicht zu gewinnen.
Dass bei der Rückeroberung Ramadis die irakische Armee massgeblich beteiligt war, ist für sie ein riesiger moralischer und symbolischer Erfolg.
Die Region Anbar ist noch nicht zurück in irakischer Hand. Wie wichtig ist der Erfolg der Rückeroberung Ramadis?
Die Soldaten sind bei den letzten Angriffen zu hunderten desertiert. Das hat ihnen sehr viel Kritik eingebracht – auch vom amerikanischen Verteidigungsminister, der sie als Feiglinge bezeichnet hat. Dass bei der Rückeroberung Ramadis die irakische Armee massgeblich beteiligt war, ist für sie ein riesiger moralischer und symbolischer Erfolg.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.