Am 25. Mai findet in der krisengeschüttelten Ukraine die Präsidentenwahl statt. Gleichzeitig soll ein Referendum über die Einheit des Landes abgehalten werden. Das hat die ukrainische Übergangsregierung am Mittwoch vorgeschlagen.
Dieser Tage besuchte eine Europarats-Delegation unter Leitung von Nationalrat Andreas Gross Kiew. Im Interview schildert der SP-Nationalrat seine Eindrücke.
SRF: Sie haben in Kiew den Übergangspräsidenten und den Premierminister getroffen. Welchen Eindruck haben Sie von der ukrainischen Übergangsregierung?
Andreas Gross: Obwohl ich sehr skeptisch war, hatte ich einen sehr guten Eindruck. Die Leute machen einen seriösen Eindruck und sind sich der Schwierigkeiten ihrer Situation bewusst.
Die russische Propaganda spricht von einer faschistischen Regierung. Wie war Ihr Eindruck von der Swoboda-Partei, die derzeit ja mitregiert?
Mit Faschismus hat diese Partei nichts zu tun. Sie hat zwar Leute in ihren Reihen, die rassistisch argumentieren. «Faschistisch» ist die rhetorisch schlimmstmögliche Bezeichnung in der russischen Argumentation, aber das ist völlig übertrieben und hat mit der Wahrheit nichts zu tun. Die Swoboda ist Teil der Interimsregierung in Kiew, doch der Übergangspräsident und der -premierminister haben mit dieser Partei sehr wenig zu tun.
Ihre Hauptmission war abzuklären, ob die Abstimmung am 25. Mai frei und fair stattfinden kann. Ist das möglich?
In den meisten Teilen des Landes wird die Präsidentenwahl und die Abstimmung über die Einheit der Ukraine anständig ablaufen. Man kann sogar sagen, dass in der Ukraine seit ihrer Unabhängigkeit vor 20 Jahren noch nie so freie und offene Wahlen stattgefunden haben. Aber auf der Halbinsel Krim und in den beiden östlichen Provinzen Lugansk und Donezk können die Leute nicht dort abstimmen, wo sie wohnen. Die Regierung in Kiew tut nun alles, um ihnen einen möglichst kurzen Weg zu einer Urne zu ermöglichen. Es ist politisch sehr wichtig für die Integration und die Legitimation des neuen Präsidenten, dass möglichst viele Leute auch in diesen Regionen abstimmen können.
Die pro-russischen Regionen werden alles daran setzen, dass die Abstimmung dort nicht stattfinden kann und dann sagen, die Menschen hätten mehrheitlich für eine Abspaltung der Ukraine gestimmt. Dann haben wir den Salat.
Dieses Problem besteht. Die jetzige Regierung in Kiew ist sich dessen auch bewusst. Der ganze Sicherheitsapparat der Ukraine wurde unter Präsident Janukowitsch in den vergangenen vier Jahren vom russischen Geheimdienst kontrolliert. Dieser weiss nun ganz genau, wo die Schwächen der staatlichen Struktur der Ukraine sind. Trotzdem gibt sich die Übergangsregierung alle Mühe – und sie ist sich auch der Fallen bewusst, in der sie steckt.
Sie haben Russlands Präsidenten Putin im Jahr 2000 persönlich getroffen und hatten damals einen positiven Eindruck von ihm. Wie ist Ihr Bild von Putin heute?
Ich bin auch einer von denen, die gemerkt haben, dass Putin einen Eindruck erwecken kann, der nicht stimmt. Ich muss sagen, dass ich mich in ihm getäuscht habe. Doch ich schenke lieber jemandem, den ich nicht kenne, zunächst Vertrauen und muss mich dann eines besseren belehren lassen. In dem Sinne war das sicher ein Irrtum, aber kein Fehler. Er hatte auch keine grossen Konsequenzen, denn ich bin nicht vom gleichen Schlag wie zum Beispiel Gerhard Schröder.
Das Interview führte Peter Voegeli.