SRF: Christof Franzen, Sie sind derzeit in Donezk. Wie aussagekräftig sind die umstrittenen Wahlen in der Ostukraine vom Sonntag?
Christof Franzen: Ich würde das gar nicht als Wahlen bezeichnen, denn es gibt schlicht und einfach keine Opposition. Das haben die prorussischen Separatisten am Sonntag auch nicht bestritten. Es handelt sich um bewaffnete Rebellen, die einen Urnengang durchgeführt und die Stimmen selber ausgezählt haben. Bei einer ersten Hochrechnung lieferten sie Resultate, bei denen angeblich über 100 Prozent der Bevölkerung gewählt habe – das allein sagt bereits viel über die Situation hier in Donezk aus. Die Separatisten geben sich mit diesem Urnengang ein Mandat, mit dem sie nun die praktischen Aufgaben lösen wollen, um den Menschen hier wieder ein mehr oder weniger normales Leben zu bieten.
Es handelt sich also um Pseudowahlen. Dennoch: Die Separatisten haben ihr Ziel erreicht und ihre Macht in Donezk und Lugansk gefestigt, oder?
Die Separatisten machen kein Geheimnis daraus, dass sie noch mehr Territorium wollen.
Die Separatisten haben ihre Macht dadurch ein Stück weit gefestigt. Doch die Stärkeverhältnisse bleiben eine militärische Frage. Daran ändert auch der Urnengang vom Sonntag nichts. Tatsache ist, dass die Gewählten sich in Zukunft beispielsweise bei Friedenverhandlungen legitime Volksvertreter nennen werden. Zudem werden sie damit beginnen, in den Republiken Donezk und Lugansk staatliche Strukturen aufzubauen. Sie werden Steuern eintreiben, Geschäfte müssen sich bei ihnen registrieren und die Wohnungsregister werden erneuert.
Schauen wir nach Kiew: Die Wahlen seien illegal, sagte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko. Muss man nun mit Konsequenzen aus Kiew rechnen?
Kiew hat angekündigt, man werde ein Strafverfahren gegen die Organisatoren der Wahlen einleiten. Aber eigentlich können die Ukrainer nicht viel dagegen tun. Denn um ihre Politik durchsetzen zu können, müssen sie das Gewaltmonopol in der Region wieder zurückgewinnen. Und das ist derzeit kein Thema.
Ist denn nun auch der ausgehandelte Friedensplan für die Region hinfällig?
Nein, für eine solche Aussage ist es zu früh. Einzelne Punkte des Friedensvertrages funktionieren nämlich mehr oder weniger. Erst am Samstag tauschten die Konfliktparteien beispielsweise wieder Gefangene aus. Auch sind die Kämpfe weniger intensiv – obwohl sie immer noch Tote fordern. Der ukrainische Präsident Poroschenko will den Friedensplan sicher nicht fallen lassen. Auch der Westen – insbesondere die Schweiz als Vermittlerin – will daran festhalten.
Sie haben die Kämpfe angesprochen: Bereits am Sonntagabend soll es wieder zu Gefechten zwischen der ukrainischen Armee und Separatisten gekommen sein.
Ja, es scheint leider so weiterzugehen, wie vor dem Urnengang: Praktisch täglich war es rund um den Flughafen von Donezk und an anderen verkehrstechnisch wichtigen Punkten zwischen Donezk und Lugansk zu Kämpfen gekommen. Es besteht gar die Gefahr, dass sie sich ausweiten: Die Separatisten machen kein Geheimnis daraus, dass sie mit dem Territorium, das sie im Moment besitzen, nicht zufrieden sind. Sie wollen beispielsweise die Hafentstadt Mariupol im Süden von Donezk wieder einnehmen. Ob das noch in diesem Jahr oder erst im Frühling 2015 geschieht, wird sich zeigen.
Schauen wir zum Schluss noch in den Osten. Russland anerkennt die Wahlen. Welche Absichten verfolgt Moskau?
Vermutlich gibt es ein zweites Krimszenario: Russland möchte die Region in sein Territorium integrieren. Für Moskau ist es vorteilhaft, hier einen sogenannten «gefrorenen Konflikt» zu haben, ähnlich der Situation in Südossetien und Transnistrien. Denn dadurch kann Russland die Integration der Ukraine in die EU erschweren und in die in die NATO praktisch verunmöglichen. Zudem kann Moskau mit dem Kleinkrieg, der einen grossen Platz in den nationalen Medien hat, von innenpolitischen Problemen ablenken.
Das Gespräch führte Barbara Peter.