Das türkische Parlament hat einerseits einen Einmarsch der türkischen Armee in Syrien bewilligt, andererseits hindert die Türkei junge türkische Kurden, die Kobane verteidigen wollen, am Grenzübertritt.
«Die Türkei hat ein extrem ambivalentes Verhältnis in dieser Dreiecksbeziehung türkischer Staat, Islamischer Staat und die Kurden», sagt Rainer Baumgarten gegenüber SRF. Er lebt als ARD-Korrespondent in Istanbul. Die Türkei wolle wirklich nicht, dass die Terroristen weiterhin ihr Unwesen treiben können, meint er, andererseits gebe es genügend Belege dafür, dass die Türkei in den drei vergangenen Jahren Extremisten im Kampf gegen den syrischen Machthaber Baschar-al-Assad unterstützt habe.
Baumgarten war nach der Freilassung der 49 Geiseln aus der Botschaft in Mossul, von denen die meisten Türken waren, im Kurdengebiet und erzählt: «In der Region gibt es unheimlich viele Gerüchte. Die Kurden sagen, die Türken hätten, um die Geiseln frei zu bekommen, einem Austausch zugestimmt.»
180 IS-Kämpfer und zum Teil auch hochrangige Befehlshaber sollen im Tausch gegen diese 49 Personen freigelassen worden sein. Das stehe nicht nur in türkischen Zeitungen, sagt der Korrespondent. Laut ihm sagen sie Kurden, es gebe Belege, dass die Türken innerhalb von diesem Austausch Waffen an die Terroristen geliefert haben sollen. «Die Beweise allerdings wurden mir nicht gezeigt.»
Türkei ist in einer Zwickmühle
Dass die Türkei ihre Armee nach Kobane schicken würde, wollen die Kurden dort gar nicht. Sie befürchten, dass die Türken eines der Zentren der kurdischen Kultur zerschlagen oder unter ihre Kontrolle bringen würden. «Die Kurden wollen nur, dass die Türkei Hilfe schickt. Oder dass sie Hilfe durchlässt», sagt Baumgarten.
Die Regierung in Ankara habe grossen Respekt davor, dass sich eine starke kurdische Bewegung formiert, die später sagen könnte: «Wir haben diese Terroristen zurückgeschlagen.» Denn: Im Wesentlichen sei es ja die PKK, genaugenommen sei es eine Schwesterorganisation der PKK, die nun gegen den IS in Kobane kämpft.
«Die Regierung in Ankara will auf gar keinen Fall, dass die PKK irgendwie an Profil gewinnt», sagt Baumgarten, «obwohl sie sich offiziell mit der PKK in einem Friedensprozess befindet.» Der Kampf des türkischen Staates gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK hat in den letzten Jahrzehnten über 35‘000 Menschenleben gefordert.
PKK-Führer meldet sich zu Wort
Der inhaftierte Chef der PKK, Abdulla Öcalan, hat kürzlich via seinen Anwalt verlauten lassen, dass die Türkei dafür mitverantwortlich sei, wenn Kobane an den IS fällt. Damit wäre auch der Friedensprozess zwischen der Türkei und der PKK erledigt. Es seien schlicht die Fakten, die die Kurden zur Verzweiflung trieben, sagt Baumgarten: «Der IS droht ein Zentrum der Kurden einzunehmen und zu massakrieren, und die Türkei schaut zu.»