Bayview District, im Südosten San Franciscos: Vergitterte Ladenfronten, geöffnet sind nur einige kleine Shops, die Alkohol, Zigaretten und Chips verkaufen sowie ein Coiffeur. Sonst nichts. Kein Restaurant, kein Café. Die Menschen – es sind meist schwarze Männer – stehen auf einem Betonplatz herum. Sie reden miteinander, spielen an einem kleinen Tisch Dame. Was denken sie über die aktuelle Rassismus-Debatte in den USA?
«Wir alle sind Brüder»
«Viele Weisse meinen einfach, das Land gehöre ihnen», sagt ein älterer Herr. Ein anderer steuert direkt aufs Mikrofon zu. Er glaubt nicht daran, dass sich etwas bessern wird: «Die Geschichte der Schwarzen wird an den Schulen nicht gelehrt als Teil der US-amerikanischen Geschichte. Sie wird ausgeblendet», sagt er. Wenn die Geschichte der Schwarzen vermittelt würde, würde das zu einer anderen Beziehung zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen führen.
«Wenn ein weisser Junge in der Schule die Wahrheit erfahren würde, über das, was während der Sklavenzeit geschah, würde es ihn verändern», ist der Mann überzeugt. Etwa, dass viele weisse Gutsherren mit schwarzen Sklavinnen Kinder hatten, diese aber in die Sklaverei verkauften und viele schwarze Menschen in den USA deshalb teilweise weiss seien. «Schauen Sie mich an: Ich bin nicht reiner Afrikaner, es gibt viele verschiedene Gene in mir. Wir sind Brüder! Das will ich damit sagen.»
Zwei Parallelwelten
Eine junge Frau sitzt mit einem kleinen Mädchen in einem öffentlichen Bus. Sie habe praktisch keine weissen Freunde, sagt sie: «Ich verbringe mehr Zeit mit schwarzen Menschen, vielleicht weil sie so sind wie ich.» Das habe nichts mit Rassismus zu tun, fügt sie hinzu. Sie wisse nicht wieso, sie könne einfach mit schwarzen Leuten besser kommunizieren.
Was die Frau schildert, ist typisch für die USA: Von hundert Freundinnen und Freunden, die ein weisser Mensch hat, ist im Schnitt nur eine oder einer schwarz, wie Untersuchungen zeigen. Die beiden Bevölkerungsgruppen wohnen geographisch getrennt. Deshalb wissen sie oft wenig über das Leben der Anderen. Die Gesellschaft ist segregiert.
Kaum Zugang zu Wohlstand
In nur 20 Minuten erreicht der Bus ein ganz anderes Quartier San Franciscos: Es heisst Noe Valley. Hier strömt Weihnachtsmusik aus einer Geschenkboutique, Geschäfte, Restaurants und Cafés säumen die Strasse. Alles ist voller Lichtgirlanden und Weihnachtsschmuck. Fast alle Menschen hier sind weiss.
Ein Mann steigt aus einem Jaguar. Wird die nach den Ereignissen in Ferguson und Staten Island in den USA entfachte Rassismus-Debatte Folgen haben? «Nein, das denke ich nicht», sagt er. Ist der Graben zwischen Schwarzen und Weissen ein Problem? «Klar ist das ein Problem. Immer, wenn in einer Gesellschaft manche keinen Zugang zu Wohlstand haben, ist es ein Problem.» Aber das gebe es auch in Europa und anderswo, fügt er an.
«Die Leute werden aggressiv»
Ein anderer, langhaariger junger Mann sitzt mit seiner Gitarre auf einer Bank. Er habe nur wenige schwarze Freunde, sagt er. Er spreche kaum je mit ihnen über Ferguson oder Staten Island, antwortet er auf die entsprechende Frage. «Das taucht jeweils vor der Bar auf, Leute werden aggressiv.» Sie reagierten überempfindlich, wenn es um Wörter wie schwarz und weiss gehe. Er bleibe lieber für sich und spiele Gitarre.
Eine ältere Frau mit einer Einkaufstasche ist erfreut darüber, dass viele junge Menschen auf die Strasse gehen und Gerechtigkeit einfordern. Sie hofft, dass das etwas bewirken wird. Auch sie stellt fest, dass Weisse und Schwarze in den USA oft in getrennten Quartieren leben. Doch: «Respekt füreinander haben ist wichtiger, als wo wir leben. Wir müssen uns umeinander kümmern», sagt sie und verschwindet im Einkaufsrummel ihres weissen Quartiers.