SRF News: Was hat gerade jetzt zum offenen Bruch zwischen Jean-Marie Le Pen und seiner Tochter und Partei-Chefin Marine geführt?
Charles Liebherr: Es ist die Plattform, die Jean-Marie Le Pen für seine Äusserungen wählte, die das Fass zum Überlaufen brachte: «Rivarol», eine rechtsextreme Zeitschrift, die wegen antisemitischer Texte von französischen Gerichten schon mehrfach verurteilt wurde. Inhaltlich äusserte sich Vater Le Pen nicht anders, als in der Vergangenheit. Das hat ihm bereits mehrfach Bussen und Verurteilungen eingebracht.
Es ist also die x-te Provokation von Jean-Marie Le Pen, die der Tochter nun offenbar zu viel wurde. Bisher hat sie sich jeweils verbal von seinen Äusserungen distanziert. Aber jetzt – und das ist bemerkenswert – verspricht sie erstmals Sanktionen: Ihr Vater und Gründer des Front National soll sich nicht mehr als Spitzenkandidat für die Regionalwahlen Ende Jahr aufstellen dürfen.
Vater und Tochter tun sich ja schon seit Längerem schwer. Waren diese Äusserungen von Jean-Marie Le Pen nun einfach ein guter Vorwand, um den Parteigründer loszuwerden?
Es ist mehr als das. Marine Le Pen führt die Partei seit vier Jahren auf einem rechtsnationalistischen Kurs. Damit gewinnt sie Wählerstimmen bis weit ins rechte bürgerliche Lager hinein. Jede vierte Stimme ging vor zwei Wochen bei den Departementswahlen an den Front National.
Marine Le Pen hat das geschafft, ohne sich bisher klar von den antisemitischen, rechtsradikalen Gruppierungen in ihrer Partei abgrenzen zu müssen. Das geht nun nicht mehr. Ihre politischen Gegner greifen sie deshalb an, sie wollen nichts mehr wissen von diesem Doppelspiel.
Es zeichnet sich schon länger ab, dass sich Marine Le Pen entscheiden muss. Bleibt sie auf dem eingeschlagenen Kurs, dann bedingt das den Bruch mit den alten ideologischen Fundamentalisten der Partei. Diese sind untrennbar mit dem Vater, Jean-Marie Le Pen, verbunden.
Wie kommt der Bruch bei der Partei-Basis an?
Das ist die grosse Unbekannte in diesem Spiel. Damit verbunden ist die Frage, wie stark der Front National tatsächlich ist, ohne den rechtsradikalen, antisemitischen, muslimfeindlichen Teil. Möglicherweise kommt es gar zu einer Spaltung im politischen Lager ganz rechts aussen.
Wenn Marine Le Pen mit ihrem Vater nun bricht, dann kommt das bei einem Teil der Wähler aber sicher auch gut an: Bei jenen, die dem rechten Lager der konservativen UMP zuzuordnen sind. Ganz anders bei den Sympathisanten von Jean-Marie Le Pen: Dieser harte Kern alter Wähler im doppelten Sinn haben Marine Le Pen nie wirklich als Präsidentin des Front National akzeptiert.
Wird mit dem Bruch zwischen Tochter und Vater das Ende des Politikers Jean-Marie Le Pen eingeläutet?
So weit würde ich nicht gehen. Jean-Marie Le Pen ist und bleibt der Ehrenpräsident des Front National. Gemäss den Statuten kann er gar nicht aus der Partei ausgeschlossen werden.
Die extreme Rechte hat in Frankreich seit Jahrzehnten ein politisches Fundament. Dieser historische, alte Kern des Front National verschwindet durch den Bruch nicht. Diese Wähler wählen Front National wegen Jean-Marie Le Pen und nicht wegen der Tochter Marine.
Die Frage ist nun, ob sich der Front National in zwei Gruppierungen spaltet oder ob Marine Le Pen die Reihen nach diesem Erdbeben heute wieder schliessen kann, ohne die treuen Anhänger ihres Vaters.