Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sorgt regelmässig nicht nur mit seiner Politik für Aufsehen, sondern auch mit seinem Gebaren. Die nächsten Schlagzeilen wird er mit der Einweihung seines neuen Präsidentenpalasts Ende Oktober machen.
Gelände steht eigentlich unter Denkmalschutz
Der neue Amtssitz von Erdogan entsteht am Rande von Ankara. 1000 Räume wird der Palast umfassen – 200 mehr als der Buckingham Palace der britischen Monarchen. Das 350-Millionen-Dollar teure Gebäude trägt den Namen «Aksaray», was so viel wie «weisser, reiner Palast» bedeutet. Der Schönheitsfehler dabei: Der ganze Bau ist gesetzeswidrig. Denn der Palast entsteht auf dem Gelände des unter Denkmal- und Naturschutz stehenden Atatürk-Forsts.
Der Monumentalbau wurde im Stil seldschukischer Architektur entworfen und erinnert an traditionelle türkische Gebäude. Laut Medienberichten soll der Palast neben der Amtswohnung des Staatspräsidenten auch bombensichere Räume und solche gegen Bio- oder Chemiewaffenangriffe beinhalten.
Der neue Präsidentenpalast ist ein enormes Machtsymbol.
Offenbar will Erdogan nicht alle der 1000 Räume für sich privat nutzen. Es sollen diverse Büros eingerichtet werden, von denen aus regiert werden kann. Erdogan hatte dem amtierenden Ministerpräsidenten und engen Gefolgsmann Ahmet Davutoglu bereits vor einiger Zeit angeboten, er werde ihm «immer helfen», das Land zu führen, wie das Nachrichtenportal «Die Welt» schreibt.
Erdogan – ein neuer Atatürk?
Der gesetzeswidrig gebaute Palast setzt ebenso politische wie auch symbolische Zeichen: Steht Erdogan über dem Ministerpräsidenten und dem türkischen Gesetz? Oder sogar über dem Gründer der modernen Türkei? Denn das Gelände hatte dereinst Mustafa Kemal Atatürk gehört, der den Wald später an den Staat zurückgegeben hatte.
Auch für den Historiker Hans-Lukas Kieser besitzt der Prunkbau eine symbolische Aussage: «Der neue Präsidentenpalast ist ein enormes Machtsymbol. Obwohl der Staatspräsident weiterhin weitgehend repräsentative Aufgaben hat, sieht sich Erdogan eindeutig in einer anderen Stellung.»
Erdogan würde jedoch nie öffentlich sagen, er sei ein neuer Atatürk. Man könne aber davon ausgehen, dass dies seine Intention sei, sagt Kieser weiter. Auch wenn dies beim Volk schlecht ankommen würde.
Dass der Kemalismus Geschichte ist, dafür sprechen auch andere Indizien. So zum Beispiel ist Atatürk auf einigen offiziellen Fotos nicht mehr zu sehen, weder auf einem Bild, noch auf Statuen im Hintergrund. «Man kann sagen, dass der Kemalismus verdrängt wird und ein muslimisches türkisches Nationalgefühl überwiegt», so Kieser.
Mehrheit begrüsst neue Grösse der Türkei
Dass eine gerichtliche Instanz nach der anderen versuchte, die Aussetzung der Bauarbeiten anzuordnen, beeindruckte Erdogan aber offenbar wenig: «Sollen sie doch versuchen, es abzureissen», zitiert «Die Welt» den Staatspräsidenten.
Professor Hans-Lukas Kieser gibt jedoch zu bedenken, dass der Bau nicht unbedingt skandalisiert habe. «Mit Erdogan wird die neue Grösse der Türkei von einer Mehrheit begrüsst». Die Menschen glaubten, dass Erdogan sich seine Macht verdient habe.
Die Stimmung in der Türkei sei lethargisch. Und sie werde noch verstärkt dadurch, dass fast alle Angst haben, erklärt Kieser weiter. Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren oder ausgeschlossen zu werden. «Man begehrt nicht auf, weil man Angst hat, dass es auf einen zurückfällt.» Zwar wurde von den Medien über das Bauprojekt berichtet, aber meistens nicht vertieft und ohne hartnäckige Kritik.
Altes Gebäude für den Ministerpräsidenten
Die Bauarbeiten für den neuen Sitz des Staatschefs wurden bereits 2011 in Angriff genommen, als Erdogan noch Ministerpräsident war. Eingeweiht wird «der weisse Palast» am 29. Oktober 2014, dem 91. Jahrestag der Republik-Gründung.
Der frühere Staatschef Abdullah Gül nutzte während seiner Amtszeit noch den bisherigen Amtssitz Çankaya Köşkü. Während Erdogan in Kürze in den neuen Palast zieht, wird nun dem Vernehmen nach Ministerpräsident Davutoglu mit dem alten Gebäude vorlieb nehmen.