Zum Inhalt springen

International «Es bleibt ein mulmiges Gefühl»

Das Bier ist kalt gestellt, die Leinwände sind eingerichtet und die unzähligen Fernsehkameras sind installiert. Frankreich ist bereit, wenn am Freitagabend die Fussball-Europameisterschaft angepfiffen wird – zumindest auf den ersten Blick. Denn noch ist die Stimmung etwas verhalten.

«Frankreich ist bereit. Die Fussballfans freuen sich, dass es endlich losgeht», sagt Michael Gerber. Auch die Nichtfussballbegeisterten merkten nun langsam, dass etwas Grosses bevorstehe, meint der SRF-Korrespondent in Paris.

«Die Fussballfans hoffen natürlich, dass ‹les Bleus› gewinnen, wie sie es mit den Heimsiegen an der EM 1984 und der WM 1998 getan haben und so eine Dynamik und Euphorie in Frankreich auslösten», sagt Gerber. Diese Erwartungshaltung spüre man auch, wenn man mit den Menschen in Paris spreche.

Wenn am Freitagabend der Anpfiff zur EM ertönt, wird auch die riesige Fanzone zu Füssen des Eiffelturms eröffnet sein. Sie bietet Platz für 92‘000 Zuschauer. Immer mit dabei: Bier, Fahnen, Musik – und die Angst vor einem Anschlag. Denn die Erinnerung an die Terrornacht vom 13. November 2015 steckt vielen Franzosen noch in den Knochen. In Saint-Denis, wo damals in unmittelbarer Nähe zum Stade de France Bomben explodierten, wird nun die EM angepfiffen. «Ein mulmiges Gefühl bleibt. Und es steht die Frage im Raum: Kommt es zu neuen Terroranschlägen?» sagt Michael Gerber.

Jede Tasche wird durchsucht, das gesamte Gelände ist umzäunt.
Autor: Manuel Valls Premierminister Frankreich

Frankreichs Behörden betonen immer wieder den Aufwand, den sie betreiben, um die Sicherheit zu gewährleisten. Die Worte von Frankreichs Premierminister Manuel Valls bestätigen dies: «Wir gehen ganz auf Nummer sicher. Jede Tasche wird durchsucht, das gesamte Gelände ist umzäunt.». Er kennt die grösste Sorge vieler Besucher. Denn die Fanmeilen an den zehn Spielorten gelten als «Soft Targets», weiche Ziele also, die schwer zu kontrollieren sind.

Rund 100'000 Personen für die Sicherheit

Nicht alle sind begeistert von diesen Fanzonen: Der Opposition sind sie ein Dorn im Auge. So hat Nicolas Sarkozy am Donnerstagmorgen auf Radio Europe 1 seine Forderung bekräftigt, die Fanzonen zu schliessen. Er fände sie nicht angebracht in Zeiten des Ausnahmezustands. Gerber erklärt, dass die Sicherheitskräfte bereits ausgelastet seien mit der Sicherheitskontrolle in und um die Stadien.

Rund 100‘000 Sicherheitskräfte stehen im Einsatz für diese Mammutaufgabe: Sie müssen 24 teilnehmende Mannschaften schützen, zehn Fussballstadien und grossen Fanzonen sowie rund 10 Millionen Fussballfans. «Die Ressourcen sollen zudem ausreichen, um Hooligans im Zaum zu halten», ergänzt Gerber. Die Fanmeilen mit den Public-Viewing-Zonen, die einige Politiker in Frankreich als potenzielle Gefahrenzonen sehen, werden den gleichen Sicherheitsbestimmungen unterliegen wie die Stadien.

Soldaten auf Patrouille unter dem Eifelturm
Legende: Die Sicherheitsfrage dominierte die französischen Medien lange vor dem Anpfiff der Fussballeuropameisterschaft. Keystone

Streik als Mittel zum Zweck

Die erwarteten Menschenmassen sind überdies auf Transportmöglichkeiten angewiesen. Doch seit Tagen blockieren Streiks gegen die Arbeitsmarktreform der französischen Regierung den öffentlichen Verkehr. Eine leichte Entspannung der Lage zeichnet sich lediglich im Bahnverkehr ab. So fiel am Donnerstag nur noch jeder fünfte Fernreisezug aus.

Auch der öffentliche Nahverkehr in Paris funktionierte störungsfreier als noch an den Vortagen. Allerdings haben die Fluglotsen für den 14. Juni einen 24-stündigen Streik angekündigt. Damit könnte der Flugverkehr vollständig zum Erliegen kommen, denn auch die Piloten der Air France wollen vom 11. bis 14 Juni die Arbeit niederlegen. Für die anreisenden Fans wäre dies katastrophal.

Powerplay mit Risiko

«Die verschiedenen Gewerkschaften von Air France und der Fluglotsen nutzen die Europameisterschaft als Mittel zum Zweck», sagt der SRF-Korrespondent. Gerber geht davon aus, dass sich die Gewerkschaften und die Regierung einigen werden. «1998 gab es ein ähnliches Powerplay. Damals konnte man sich in einer Nachtverhandlung einigen.»

Und was sagt die Bevölkerung zu den Streiks? «Grundsätzlich ist die Haltung gegenüber dem Arbeitskampf positiv», urteilt Gerber. Die Streiks seien allerdings auch ein gewisses Risiko für die Gewerkschaften. Denn die Stimmung in der Bevölkerung könnte kippen.

Hotelbetten nicht ausgebucht

Mehr zum Thema

Auch wenn alleine für das Eröffnungsspiel am Freitagabend im Stade de France bis zu 80‘000 Fans erwartet werden: «Die Hotelbetten in Paris sind noch nicht ausgebucht, klagen zumindest die Hoteliers», sagt Gerber. Dies ist bemerkenswert, denn Frankreich erwartet für die EM rund zehn Millionen Besucher aus dem Ausland.

Der Einbruch der Besucherzahlen nach den Terroranschlägen vom November 2015 drückte die Jahresbilanz fast aller Wahrzeichen in Paris ins Minus. So ging die Zahl der Besucher in 64 Pariser Museen und Monumenten im vergangenen Jahr um 7,2 Prozent zurück. Die gotische Kathedrale Notre-Dame de Paris im Herzen der Stadt besuchten 2015 schätzungsweise 13,6 Millionen Menschen. Das sind etwa 700'000 weniger als im Jahr zuvor.

Auch im Museum Louvre (Platz 3 mit 8,4 Millionen, –7,8 Prozent) und auf dem Eiffelturm (Platz 4, 6,9 Millionen, –2,5 Prozent) wurden weniger Besucher gezählt. Auch wenn die Fussballfreude in Paris langsam spürbar wird – das Unbehagen bleibt.

srf/agenturen/germ/muei; kurn

Meistgelesene Artikel