SRF: Ein anderes Land als die USA käme nicht in Frage für ein militärisches Engagement gegen den IS, wird immer wieder gesagt. Sie sind anderer Ansicht?
Jo Lang: Ja, denn Luftschläge bringen militärisch sehr wenig, können aber politisch sehr viel kosten. Die Dschihadisten sind sich gewohnt, Luftschlägen auszuweichen. In Syrien herrscht ein Bürgerkrieg auf engstem Raum. Das Risiko sogenannter Kollateralschäden ist riesig.
Dazu kommt: Wenn es US-Präsident Barack Obama wirklich darum ginge, das Problem kurzfristig zu lösen, wäre er anders vorgegangen. Dann hätte er den Lead der UNO übergeben. Er hätte die 36 Stunden bis zum Sicherheitsrat abgewartet. Er hätte den Mitgliedern einen Vorschlag gemacht, der politisch und militärisch sinnvoller ist: Die Vetomächte, angereichert durch entfernte islamische Staaten wie Indonesien und Malaysia, machen eine Operation am Boden. Im Namen der UNO wäre das politisch problemloser. Alles was in dieser Gegend mit USA, Nato und Grossbritannien zu tun hat, heizt die Konflikte nur noch mehr an. Die Frage wird am Boden entschieden, nicht in der Luft.
Im UNO-Sicherheitsrat sitzt aber auch Russland. Wäre ein solcher Vorschlag nicht an dessen Veto gescheitert?
Das stimmt nicht. Im Kampf gegen Assad – übrigens dem Hauptprofiteur der Luftschläge – war das Problem, dass dieser mit Russland verbunden ist. Aber im Kampf gegen den islamischen Terror gibt es eine Einigkeit mit den Russen und den Chinesen. Denn die Chinesen sehen ein Problem mit den Uiguren, die Russen haben ein Problem im Kaukasus. Dieser Vorschlag wäre möglich gewesen. Deshalb stimme ich der These nicht zu, dass die USA unfreiwillig diese Rolle einnehmen. Der Kampf der USA und der Nato zur Marginalisierung der UNO geht weiter.
Es braucht also auch in Ihren Augen ein militärisches Vorgehen – einfach mit einem anderen Lead?
Es braucht militärisches Vorgehen, aber unter der Führung der UNO. Denn das ist die einzige Organisation dieser Welt, die berechtigt ist, ausserhalb eigener Grenzen – weil die UNO ja keine solchen hat – zu agieren und einen Krieg zu beschliessen. Aber selbstverständlich ist sie auf die Hilfe von Mitgliedsstaaten angewiesen.
Wie steht es um den Zeitfaktor? Die UNO kann weniger schnell handeln als ein einzelner Staat. Es fliehen jeden Tag Tausende vor Assad oder dem IS. Alles, was diesen Prozess verlängert, hilft diesen Menschen nicht, oder?
Diese Fluchtbewegungen gehen ja weiter, trotz Luftschlägen. Obama hätte 36 Stunden warten müssen, und er hätte den UNO-Beschluss gehabt für eine Operation, die militärisch und politisch mehr bringt. Und letztlich ist die Politik das wichtigste. Was wir jetzt erleben, ist die Fortsetzung des kolossal gescheiterten Kriegs gegen den Terror. Dieser Krieg hat für jeden getöteten Terroristen zehn neue hervorgebracht.
Das Gespräch führte Philippe Chappuis.