Es ist eine grundlegende Neuausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik, die die EU-Kommission Mitte Mai vorschlug und die heute in Luxemburg diskutiert wird: Statt dort Asyl beantragen zu müssen, wo sie Europa betreten haben, sollen schutzbedürftige Personen künftig auf die EU-Staaten verteilt werden.
Noch kein Entscheid über Verteilschlüssel
Bisher haben lediglich einzelne Regierungen die Vorschläge der EU-Kommission kommentiert. Beim heutigen Innenminister-Treffen in Luxemburg finden erstmals multilaterale Gespräche über eine Quotenregelung statt. Zunächst geht es dabei um ein Pilotprojekt mit 40'000 Flüchtlingen.
Einen konkreten Beschluss wird es heute jedoch nicht geben. Zunächst gehe es lediglich um eine Auslegeordnung, sagt SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck in Luxemburg: «Eine Verteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten mittels Schlüssel bedeutete grosse und einschneidende Veränderungen für die europäische Flüchtlingspolitik». Deshalb sei ein mehrstufiger Prozess bis zu einem Beschluss nötig. Ein Grundsatzentscheid sei erst beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs Ende Juni zu erwarten.
Frühestens Mitte Juli könnten die Innenminister die Entscheidungen des Gipfels dann verbindlich verabschieden. Die Chancen für eine Einigung auf eine neue europäische Flüchtlingspolitik noch vor der Sommerpause schätzt Ramspeck auf 50:50.
Quote hat bei EU-Staaten schweren Stand
Dass eine solche Einigung 1:1 dem Vorschlag der Kommission entsprechen wird, scheint angesichts der unterschiedlichen Positionen ausgeschlossen. Rund ein Drittel der EU-Staaten dürfte sich grundsätzlich für den Verteilschlüssel einsetzen, schätzt Sebastian Ramspeck. Darunter unter Vorbehalten auch Deutschland und Frankreich.
Ungefähr gleich gross ist das Lager der strikten Gegner, bestehend insbesondere aus osteuropäischen und baltischen Staaten. Ein weiteres Drittel der Staaten hat sich noch nicht festgelegt.
Für gemeinsame Beschlüsse strebten die EU-Minister in der Regel Einstimmigkeit an, sagt Sebastian Ramspeck: «Die Innenminister werden heute hauptsächlich ausloten, wie ein für alle EU-Staaten akzeptabler Kompromiss zur künftigen Flüchtlingspolitik aussehen könnte.»
Wo bleibt die Solidarität unter den EU-Staaten?
Dass sich die EU derart schwer tut, durch den Flüchtlingsstrom stark belastete Länder wie Italien zu unterstützen, sei auch der Struktur der Union als Staatenverbund geschuldet, meint Sebastian Ramspeck.
Zunächst verteidige auf Ministerebene jeder Vertreter die Interessen seines eigenen Landes. «Die Flüchtlingsthematik ist in den einzelnen Staaten auch innenpolitisch brisant. Da liegt es in der Natur der Sache, dass die Verteilung von Flüchtlingen bei vielen Regierungen auf Widerstand stösst. Insbesondere, wenn demnächst auch noch Wahlen anstehen.»
Realistisch ist eine Einigung auf einen Verteilschlüssel deshalb lediglich, wenn Länder wie Italien neben dem Ruf nach Solidarität auch etwas anbieten. «Selbst Deutschland und Frankreich, die die Notwendigkeit zur Solidarität mit Italien und Griechenland bei diesem Thema bereits eingeräumt haben, stellen dafür Bedingungen», sagt Ramspeck. Konkret müsse sich insbesondere Italien verpflichten, endlich alle ankommenden Flüchtlinge zu registrieren, wie es das Dubliner Abkommen vorsieht.
Zwar stehen heute in Luxemburg auch Gespräche über Sofortmaßnahmen zur Seenotrettung und Schleuserbekämpfung auf dem Programm. Bis zu einer grundlegend neuen europäischen Flüchtlingspolitik ist es jedoch noch ein weiter Weg.