«Lieberman ist ein Grossmaul und ein Rassist» – die Worte über den künftigen Verteidigungsminister Israels haben es in sich. Wer sie äussert, mag Aussenstehende zunächst überraschen: ein ehemaliger Agent des israelischen Geheimdienstes, des Mossad. Doch Yossi Alpher, heute als Sicherheitsberater tätig, ist kein kompromissloser Falke.
Als Stratege und Berater der Regierung von Ehud Barak, war er unter anderem in den Friedensprozess mit den Palästinensern involviert. Und mit dem bisherigen Verteidigungsminister Moshe Yalon, beileibe kein romantischer Pazifist, eint ihn ein Imperativ: «Der Kodex der Waffenreinheit muss verteidigt werden.»
Was martialisch klingt, meint, «dass israelische Soldaten ihre Waffen nur gezielt einsetzen und die Menschlichkeit der Feinde vor Augen haben.» Die obersten Militärs hielten diese moralische Verpflichtung hoch und hätten sich gegen den Rechtsrutsch in Israel gestellt – vergebens. Mit Avigdor Lieberman werde künftig, wie sich Alpher echauffiert, eine «loose cannon», ein unberechenbarer Polterer, die mächtigste Armee in Nahost anleiten – und noch dazu ein «Amateur»: «Er hat weder militärische noch sicherheitspolitische Erfahrung.»
«Wortstarker» Politiker
Künftig sieht Alpher in «Israels wichtigstem Ministerium» einen Brandstifter am Werk: «Er hat regelmässig damit gedroht, Palästinenser zu töten. Einmal drohte er sogar, den Assuan-Staudamm in Ägypten zu sprengen – der Mann ist einfach unberechenbar.» Mit Lieberman, 1978 aus der Sowjetunion nach Israel eingewandert und seither Sinnbild des russischen Haudraufs, könnte sich Israel in eine «gefährliche Richtung» entwickeln, mutmasst Alpher.
Was soll ich dazu sagen? Das kann nur in Israel geschehen.
«Ich mache mir Sorgen, dass er Offiziere befördert, die seine extremen Ansichten teilen. Dass er mit verantwortungslosem Eingreifen die Situation in Gaza eskalieren lässt. Dass er uns vielleicht sogar einen Krieg beschert.» Klar ist für den Sicherheitsexperten: «Unsere arabischen Nachbarn werden ihn zur persona non grata erklären. Er wird in Washington mit Misstrauen empfangen werden, und die Europäer mögen ihn sowieso nicht. Das alles kommt zum Schaden hinzu, den Netanjahu sowieso anrichtet.»
Der doppelte Lieberman?
Kann all dies im Interesse von Premier Benjamin Netanjahu sein, der bis vor kurzem an einer Regierungskoalition mit den Sozialisten arbeitete? Noch vor einem Monat bezeichnete der Likud-Chef Lieberman selber als Amateur, der nicht einmal zum militärischen Analysten tauge. Nun der Sinneswandel. «Was soll ich dazu sagen? Das kann nur in Israel geschehen», meint Alpher resigniert. Klar ist: Der machtbewusste Netanjahu will sich mit Lieberman politischen Sukkurs vom rechten Rand sichern.
Und mit Lieberman rekrutiert er dafür einen Mann, den er aus gemeinsamen Kabinetten bestens kennt: Der Vorsitzende der säkular-nationalen Partei Jisra’el Beitenu amtete unter anderem als Vize-Premier und Aussenminister unter Netanjahu – und konnte dabei durchaus diplomatische Töne anschlagen.
So öffnete der Sowjet-Emigrant etwa im Ukraine-Konflikt Gesprächskanale zwischen Washington und Moskau; auch im Verhältnis zur Obama-Administration war es Netanjahu, der am meisten Geschirr zerschlug: «Als Aussenminister war er relativ vorsichtig und verursachte nicht allzu viel Schaden bei den internationalen Beziehungen», schildert Alpher. Und: Bei aller Scharfmacherei befürwortet Lieberman eine Zwei-Staaten-Lösung.
Besteht also Hoffnung, dass Lieberman auch als Verteidigungsminister konzilianter auftritt? Alpher sieht tatsächlich Anzeichen dafür, dass sich der Ultranationalist, zurück an den Schalthebeln der Macht, mässigt: «Er wird viele seiner Drohungen nicht wahrmachen. Auch Netanjahu wird dafür Sorgen.» Davon, dass Netanjahu mit seinem neuen Kabinett einen toxischen Cocktail für das Pulverfass Nahost mischt, bleibt Alpher jedoch überzeugt.