Etwa 50‘000 Menschen wohnen in Forest. Über 10'000 praktizieren den muslimischen Glauben. Marc-Jean Ghyssels, der sozialdemokratische Bürgermeister, kennt diese Gemeinschaft ziemlich gut. «Heute Morgen war ich in ihrem Quartier und trank einen Pfefferminztee», sagt er. Diese Leute seien schockiert von den Attentaten in Brüssel. «Sie sagen, die Täter hätten ihre Religion als Vorwand missbraucht. Und sie fürchten, dass ihre ganze Gemeinschaft jetzt stigmatisiert wird.»
Als Bürgermeister weiss Ghyssels aber auch, dass es unter diesen Muslimen einige radikalisierte Dschihadisten gibt. Er habe eine Liste mit 17 Namen, sagt er. Acht von diesen Leuten hätten sich nach Syrien abgesetzt, vier oder fünf seien im Gefängnis. Bleiben also nochmals vier oder fünf.
Innere Sicherheit: unklare Aufgabenzuteilung
Alle Bürgermeister haben vom Nachrichtendienst eine solche Liste bekommen. Doch Ghyssels sagt, er könne damit nicht viel anfangen: «Mit dieser Liste will man die Verantwortung den Bürgermeistern zuschieben.» Es sei aber nicht an den lokalen Behörden, Leute, die so gefährlich sind, zu überwachen. Das sei Aufgabe der Geheimdienste, der nationalen Polizei und der Staatsanwaltschaft.
Das leuchtet ein. Der Streit zeigt aber auch, dass in Brüssel wichtige Aufgaben der inneren Sicherheit nicht klar zugeteilt sind und vernachlässigt werden. «Belgien investiert nicht genug in Brüssel», sagt der Bürgermeister. Das zeige sich bei der inneren Sicherheit, aber auch anderswo. Und schuld daran ist für ihn der Streit zwischen Wallonen und Flamen.
Das erklärt vielleicht, warum Terroristen in Brüssel über Jahre hinweg relativ ungestört einen Hauptstützpunkt aufbauen konnten. Es erklärt aber noch nicht, wie es möglich war, dass einige der Attentäter sich monatelang in Brüssel versteckt halten konnten – obwohl sie spätestens seit den Anschlägen in Paris im November intensiv gesucht wurden.
Es gab Leute, die wussten, dass einige der Attentäter hier in Forest waren.
Einige Leute der muslimischen Gemeinschaft haben sie wohl gedeckt. «Es gab Leute, die wussten, dass sie hier waren», sagt auch Ghyssels. «Aber die menschlichen Beziehungen sind halt so. Einige verband vielleicht seit Kindsbeinen eine tiefe Freundschaft mit den Attentätern, andere schützten ihren Bruder, wieder andere hielten den Mund aus Angst.»
«Wir brauchen den Dialog»
Belgien scherte sich lange wenig um seine muslimische Gesellschaft. Nach den Attentaten rückt sie in den Fokus. Für Ghyssels ist das eine heikle Sache: «Es gibt einige Leute, die jetzt mit dem Finger auf die Muslime zeigen und die Konfrontation suchen. Doch was wir jetzt mehr denn je brauchen, ist der Dialog.»
Dabei dürfe man aber nicht naiv sein, sagt der Bürgermeister von Forest. «Wenn es in einer Apfelkiste einige faule Äpfel hat, muss man die schnell entfernen. Aber das müssen wir gemeinsam machen.»